Full text: Thüringer Sagen und Nibelungensage (Teil 1)

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dem eroberten Lande zu geben, ihn zn betrügen. So entsteht auch hier 
ein Unrecht aus dem anderen, wie bei Adam und Eva, Kain, Josephs 
Brüdern, bei Ludwig dem Springer, als er die Wartburg baute; auch 
hier gilt das Sprüchwort: Eine Sünde ist der anderen Mutter. 
3. Der Frankenkönig? — Dieser hätte dem Boten antworten sollen: 
„Sage Deinem Herrn, daß ich mich mit solchen schlechten Dingen nicht 
abgebe. Ich fange nur Krieg an, wenn ich gerechte Ursache habe, aber 
nicht ans Habsucht. Auch will ich nicht helfen. daß ein Bruder den 
andern beraubt und tötet, denn Brüder sollen sich lieben!" So sagt 
aber der Frankenkönig leider nicht, denn er ist auch herrsch- und hab¬ 
süchtig, und es ist ihm ganz gleichgültig, ob das Werk, zu dem er sich mit 
dem Thüringerkönig verbindet, ein gutes oder schlechtes ist. Darum ge¬ 
schieht es ihm ganz recht, daß er von dem Thüringerkönig betrogen 
wird. Der eine ist so schlecht wie der andere. 
III. 1. Ihr kennt schon eine Geschichte, in welcher erzählt wird, wie 
eine Frau einen Mann zum Bösen verführen will. — Die Frau Potiphars 
wollte Joseph zur Sünde verleiten, aber Joseph ließ sich nicht verführen, 
sondern antwortete: „Wie sollt' ich ein so großes Übel thun und wider 
meinen Gott sündigen!" Nun war freilich der Thüringerkönig noch ein 
Heide und kannte Gott nicht, aber das wissen auch die Heiden, daß man 
seinen Bruder nicht berauben und gar töten darf. Auch die Heiden 
haben ein Gewissen. (IV, 1.) 
2. Vergleich mit dem Brudermord Kains. — Kain wurde nicht durch 
eine andere Person gereizt, sondern durch seine eigenen schlechten Ge¬ 
danken, durch Neid und Haß. Diese Gedanken verleiten ihn zum Mord 
an seinem Bruder („wer seinen Bruder hasset, der ist ein Totschläger") 
wie das falsche Ehrgefühl und die Herrschsucht den Thüringerkönig. 
Weder Kain noch der Thüringerkönig herrschen über die Sünde, wie 
Gott es von den Menfchen verlangt, und wie es Jofeph that, fondern 
lassen ihr ihren Willen. Wie Ketin Neid und Haß hätte unterdrücken 
sollen, so hätte der Thüringerkönig den Anreizungen seiner Frau und den 
Einflüsterungen seiner eignen Herrschsucht widerstehen sollen, ebenso der 
Frankenkönig. (IV, 2.) 
3. Erinnerung an den Mord Ludwigs des Springers. 
4. Früher herrschte über Thüringen ein König, später ein Landgraf. 
— Der König hatte niemand über sich, der Landgraf den Kaiser. Ein 
König ist selbständig. (IV, 3.) 
IV. 1. „Dein Leben lang habe Gott vor Augen und im Herzen 
und hüte dich, daß du in keine Sünde willigest und thust wider Gottes 
Gebot!" — Du sollst nicht töten! (5. Gebot.) 
2. „Wenn du fromm bist, so bist du (Gott) angenehm, bist du aber 
nicht fromm, so ruhet die Sünde vor der Thür. Aber laß du ihr 
nicht ihren Willen, sondern herrsche über sie!" 
3. Stichwort: „König''. (Dieser Titel ist wohl schon früher auf¬ 
getreten, aber daß derselbe den Begriff der Selbständigkeit in sich 
schließt, wird erst durch obigen Vergleich klar.) (Einzutragen.)
	        
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