Full text: Deutsches Lese- und Bildungsbuch für katholische Präparandenanstalten

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auf. Jetzt stand ihr Roß verschnaufend aus dem furchtbaren Fels, der „Teufels 
Tanzplatz" heißt. Angstvoll blickte Emma in die Tiefe, denn mehr als tausend 
Fuß ging senkrecht die Felsenmauer herab zum Abgrund. Tief rauschte der 
Strom unten und kreiste in furchtbaren Wirbeln. Der entgegenstehende ^els 
schien noch entfernter und kaum Raum zu haben für einen Vorderfuß des 
Rosses. Von neuem hörte sie Bodos Roß schnauben; in der Angst rief sie 
die Geister ihrer Väter zu Hilfe, und ohne Besinnung drückte sie ihrem Zelter 
die ellenlangen Sporen in die Seite. Und das Roß sprang über den Abgrund 
glücklich auf die spitze Klippe und schlug seinen Huf vier Fuß tief in das harte 
Gestein, daß die Funken stoben. Das ist jener Roßtrapp. Die Zeit hat die 
Vertiefung kleiner gemacht, aber kein Regen kann sie ganz verwischen. Emma 
war gerettet, aber die zentnerschwere, goldne Königskrone fiel während des 
Sprunges von ihrem Haupte in die Tiefe. Bodo, in blinder Hitze nachsetzend, 
stürzte in den StrudA und gab dem Fluß den Namen. Als schwarzer Hund 
bewacht er hier die goldene Krone der Riesentochter, daß kein Golddurstiger sie 
heraushole. Ein Taucher wagte es einst unter großen Versprechungen. Er 
stieg in die Tiefe, fand die Krone und hob sie in die Höhe, so daß das zahl¬ 
los versammelte Volk schon die Spitzen golden schimmern sah. Aber zu schwer, 
entsank sie zweimal seinen Händen. Das Volk rief ihm zu, das dritte Mal 
hinabzusteigen. Er tat's, und ein Blutstrahl sprang alsbald hoch in die 
Höhe. Der Taucher kam nimmer wieder. Jetzt deckt tiefe Nacht und Stille 
den Ungrund, kein Vogel fliegt darüber. Nur um Mitternacht hört man oft 
in der Ferne das dumpfe Hundegeheul des Heiden. Der Strudel heißt der 
„Kreetpfuhl", d. i. Teufelspfuhl, und der Fels, wo Emma die Hilfe der Höllen¬ 
geister erflehte, des „Teufels Tanzplatz". 
11. Wineta. 
Ernst Ferdinand Bäßler. 
An der nordöstlichen Küste der Insel Usedom sieht man häufig bei 
stillem Wetter in der See die Trümmer einer alten, großen Stadt. Es hat 
dort die einst weltberühmte Stadt Wineta gelegen, die schon vor tausend 
und mehr Jahren wegen ihrer Laster ein schreckliches Ende genommen 
hat. Sie ist größer gewesen als irgend eine andere Stadt in Europa, selbst 
als die große und schöne Stadt Konstantinopel, und es haben darin vieler¬ 
lei Völker gewohnt, Griechen, Slawen, Wenden, Sachsen und noch viele 
andere Stämme. Die hatten allda jedes seine besondere Religion; nur die 
Sachsen, welche Christen waren, durften ihr Christentum nicht öffentlich 
bekennen; denn nur die heidnischen Götzen genossen einer öffentlichen 
Verehrung. Ungeachtet solcher Abgötterei waren die Bewohner Winetas 
aber anfangs ehrbar und züchtig von Sitten, und in Gastfreundschaft und 
Höflichkeit gegen Fremde hatten sie ihresgleichen nicht. Sie trieben einen 
überaus großen Handel; ihre Läden waren angefüllt mit den seltensten und 
kostbarsten Waren, und es kamen jahraus, jahrein Schiffe und Kaufleute 
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