Metadata: Die Geschichte der neuern Zeit (Bd. 3)

1. Charakter der neuern Zeit. 
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Folgen für den Welthandel, der aus Land- in Seehandel umgewandelt 
wurde. Die alten Handelswege wurden verlassen und neue eröffnet, 
dadurch aber der Rang der europäischen Staaten völlig verändert. Die 
Länder am Miltelmeere sanken in gleichem Grade, wie die am atlantischen 
Ocean stiegen. Venedig insbesondere sah den ostindischen Handel, den es 
bisher fast allein getrieben hatte, in die Hände der Portugiesen und Hol¬ 
länder übergehen und mußte sich allmählich auf den Küstenhandcl des 
adriatischen Meeres beschränken. Spanien erhob sich zur ersten euro¬ 
päischen Macht und ging nebst Portugal den übrigen oceanischen Mächten 
mit der Ausführung eines ausgedehnten Colonialsystems voran, durch 
welches die Europäer ihre Herrschaft und mit dieser zugleich europäische 
Civilisation über alle Erdtheile ausgebreitet haben. 
Während der allgemein verbreitete Handel ein Band der europäischen 
Nationen wurde, verursachte die Reformation eine große Trennung 
der christlichen Völker, die selbst zu blutigen Kriegen führte und 
trug nicht wenig zur Ausbildung und Erhaltung der Idee eines poli¬ 
tischen Gleichgewichtes bei. Seit der Entdeckung Amerika's und 
der Reformation drehen sich alle Weltbegebenheiten um Schifffahrt und 
Handel oder um Religiou, ein großer Theil der Kriege waren daher 
Relrgions- oder Handelskriege. 
Welches aber sind nun die unterscheidende Merkmale der neuern 
Zeit im Gegensatz zur alten und Mittlern Zeit? 
Zuvörderst erweitert sich plötzlich mit dem Beginne des 16. Jahr¬ 
hunderts der Schauplatz der Geschichte auf eine Weise, wie es die 
Vorzeit nie ahnen konnte. Die alte Welt oder Europa, Asien, Afrika 
waren der Boden des historischen Völkerlebens so gut für das Mittel- 
alter, als für das Alterthum, nur daß Europa im Mittelalter sich be¬ 
reits denjenigen Vorrang vor den beiden anderen Welttheilen begründete, 
den die Neuzeit zu einem unbestrittenen machte, und daß die Geschichte 
von den Ländern rings um das Mittelmeer nach dem Norden und 
Westen hinzog. Durch die Entdeckung Amerika's aber wurde die Ge¬ 
schichte eine Welt- oder Erdgeschichte im eigentlichsten Sinne des Wortes, 
indem sie alle Theile des Erdenrunds umfaßte. Die Herrschaft der 
Europäer in den übrigen Welttheilen führte dahin auch europäische 
Cultur, und nur in so fern sich diese geltend machte, greift die Ge¬ 
schichte außereuropäischer Länder in die Hauptmasse der menschlichen 
Geschichte ein, welche wesentlich eine europäische ist. Bald wirken die 
Anpflanzungen aus ihre Mutterstaaten zurück und bestimmen sogar zum 
Theile das Verhältniß dieser gegen einander. Ein solches großartiges 
Schauspiel kannte weder das Alterthum noch das Mittelalter, die viel¬ 
seitige Wechselwirkung des über alle Erdtheile verbreiteten Menschen¬ 
geschlechtes sind erst Charakter der neueren Zeit. 
Mit dem erweiterten Schauplatze menschlicher Thätigkeit mußte sich 
auch der Gesichtskreis der Betrachtenden vergrößern. Wie die Schiffe 
zwischen Ländern und Welttheilen, welche ein unergründliches Meer 
trennt, freundschaftlichen und feindlichen Verkehr unterhielten, so hatte
	        
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