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III. Periode.
ihre Göttergestalten formend (so den Apollon von Tenea im ko¬
rinthischen Gebiet), allmählich aber zu gröfserer Freiheit sich ent¬
wickelnd (so die sog. Agineten, ein steinernes Siegeslied auf den
Freiheitskampf gegen Persien). Die Bildhauer von Chios bear¬
beiteten zuerst den Marmor; den Erzgufs erfanden die Samier: auch
hier sind die Kolonieen dem Mutterlande voran wie in der Poesie.
d. Nicht anders steht es mit der Philosophie, dem
Streben nach Weisheit, nach Wissen; Wissen aber heifst die
Wahrheit erfafst haben, und dieser höchste Trieb, dem Dasein
auf den Grund zu gehen, die letzten Gründe alles Seienden zu
erforschen, ist zuerst in dem Milesier Thäles (ca. 580) hervor¬
getreten, der mit Bias, Cheilon, Kleobülos, Periändros, Pittakos
und Solon die Gruppe der „sieben Weisen“ ausmacht. Wenn
aber die ändern diesen Namen empfingen, weil sie praktische
Lehren gaben, wie man im Leben am besten fahre (so z. B. S. 47),
so gehört Thaies zu den eigentlichen Philosophen, weil er aus der
Thatsache, dafs ohne Feuchtigkeit nichts Lebendes bestehen
kann, den Schlufs zog, dafs das Wasser der Anfang von allem
sei. Andere lehrten anderes; Herakleitos „der dunkle“ von
Ephesos z. B. erwog, dafs ohne Wärme nichts bestehen kann,
und erblickte im Feuer das Urelement: alle diese Denker, sämt¬
lich asiatische Ionier, nennt man Naturphilosophen, weil sie ihr
Urprincip, aus dem alles geworden sein sollte, in der Natur
selbst suchten. Über diesen Standpunkt erhoben sich die Py-
th ago re er, deren Stifter Pythagoras um 500 in Kroton in
Unteritalien als Haupt eines weitverzweigten streng aristokratischen
Bundes gestorben sein soll; seine Schüler erkannten, dafs
allem die Zahl zu Grunde liege, dafs alle eltkörper sich in
festen, zahlenmäfsig bestimmbaren Bahnen bewegen, und nahmen
an, dafs diese Körper sämtlich, auch die Erde eingeschlossen,
um ein inmitten der Welt befindliches Centralfeuer kreisen. Die
Eleäten aber, deren Sitz in der phokäischen Kolonie Elea oder
Velia in Unteritalien war, schrieben dem Einzelnen, das fort¬
während geboren wird und fortwährend wieder vergeht, gar
keine wahre Existenz zu, sondern nur dem Ganzen der Welt:
man kann das Bild des Meeres gebrauchen, dessen Wellen rast¬
los sich türmen und rastlos zerfliefsen: so steht das unbewegte
„Eine und das All“ der Eleaten dem Vielen und Einzelnen der
Erscheinungswelt gegenüber. Endlich hat Anaxägoras von
Klazömenä in Ionien mit der seitherigen naturphilosophischen