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rückwärts, ergriff mit nerviger Faust einen gewaltigen Feldstein und
traf damit den Schildbuckel des Feindes, daß das Erz weit umher
erdröhnte. Doch Ajas hob einen noch viel größeren Stern vom
Boden und schleuderte ihn mit solcher Gewalt aus Hettor, das; er
dessen Schild nach innen brach und ihm das Knie verletzte^ Hektor
sank rücklings nieder; doch verlor er den Schild nicht aus der Hand
und richtete sich schnell wieder auf. , ,
Beide Helden wollten nun mit den Schwertern auf einander
losgehen, um den Streit endlich zu entscheiden. Da eilten die
Herolde der beiden Völker herbei und streckten die Stabe zwischen
die Kämpsenden. „Nun ist es genug des Kampfes, denn schon luiit
die Nacht herab!" rief der Trojaner; „ihr leid beide tapfer und von
Zeus geliebt, des sind wir alle Zeugen." Ajas aber antwortete
ihm: „Sage das deinem Landsmann, der mich zum Kampfe gefor¬
dert hat: will er jetzt ruhen, so lasse auch ich mir's gefallen." Da
sprach Hektor: „Fürwahr, Ajas, ein Gott hat dir gewaltige Kraft
verliehen, und auf den Speerwurf verstehst du dich vor allen Griechen.
Laß uns denn jetzt ausruhen vom Streite: ein andermal wollen
wir ihn fortsetzen, bis die Götter einem von beiden Teilen den Sieg
verleihen."
Da ward Ajas freundlich und reichte seinem Gegner die Hand.
Und Hektor sprach weiter: „Nun aber laß uns noch rühmliche Ge¬
schenke austauschen, damit einst die Leute sagen: Sehet, die kämpften
zuerst den Kampf der Zwietracht, aber in Freundschaft sind sie von
einander geschieden." Nach diesen Worten reichte er dem Ajas sein
Schwert mit dem silbernen Griff samt der Scheide und dem zier¬
lichen Wehrgehenk. Ajas aber löste seinen purpurnen schöngestickten
Gurt vom Leibe und bot ihn dem Hektor dar. So schieden die
trefflichen Helden von einander.
10. °sn der nächsten Schlacht waren die Trojaner siegreich.
Die Griechen mußten bis zu ihren Schiffen zurückweichen, wo die
Nacht dem Kampfe ein Ziel setzte. Zwar hatten sie ihr Lager durch
Mauern und Türme stark befestigt, allein diese schienen gegen den
ungestümen Andrang der Feinde 'kaum noch ausreichende Sicherheit
zu bieten.
Die Trojaner blieben die Nacht aus dem Schlachtfelde, rüsteten
ein Siegesmahl zu und lagerten sich in Haufen von je fünfzig Mann
um tausend Wachtfeuer. Auch die Rosse wurden mit Spelz und
Gerste gelabt. Am nächsten Morgen sollte der Sturm auf die feind¬
lichen Schiffe mit Macht beginnen.
Im Lager der Griechen dagegen herrschte tiefe Bekümmernis,
und sie berieten, was zu thun wäre. So sehr war ihnen^ allen der
Mut gesunken, daß Agamemnon selbst riet, eiligst die Schiffe ins
Meer zu ziehen und nach dem Vaterlande zurückzukehren. Aber dem
beherzten Diomedes war durch das Unglück der Mut noch nicht
gebrochen. „Ich will hier bleiben," sprach er, „bis die Stadt des
Priamos zerstört ist; wer so denkt wie ich, der schließe sich mir an."
Dies Wort stärkte wieder den Mut der Helden.