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mächtige Feste zu bezwingen. Und darin war Odysseus vor allen 
der Meister. Auf seinen Rat bauten die Griechen ein riesengroßes 
Pserd aus Fichtenholz, in dessen geräumigem Bauche sich dreißig 
auserwählte Helden, unter ihnen Odysseus, Diomedes und Menelaos, 
einschlössen. Die übrigen aber steckten des Nachts das Zeltlager in 
Brand und segelten dann unter Agamemnons Führung nach einer 
benachbarten Insel, wo sie sich in den Hinterhalt legten. 
Als die Trojaner am nächsten Morgen den Rauch von dem 
Lager aufwirbeln jähen und auch die Schiffe verschwunden waren, 
strömten sie voll Freuden aus den Thoren dem Meeresufer zu und 
erblickten hier das turmhohe hölzerne Roß. Während die einen 
meinten, man sollte das unheimliche Wunderding verbrennen, rieten 
andere, es in die Stadt zu ziehen und als Siegesdenkmal aufzu¬ 
stellen. Da trat Laokoon, ein Priester des Apollon, hervor und 
sprach: „Unselige Mitbürger, welcher Wahnsinn bethört euch? Meint 
ihr, die Griechen seien wirklich davon gesegelt, oder eine Gabe der¬ 
selben verberge keinen Betrug? Kennt ihr den Odysseus nicht besser? 
Entweder ist irgend eine Gefahr in dem Rosse verborgen, oder es 
ist eine Kriegsmaschine, die von dem in der Nähe lauernden Feinde 
in unsere Stadt getrieben wird. Irgend ein Trug steckt sicher da¬ 
hinter, darum trauet dem Ungetüm nicht." Mit diesen Worten stieß 
er eine gewaltige Lanze in den Bauch des Pferdes, und aus dem 
Innern erscholl ein Rasseln und Dröhnen wie aus einer Höhle, die 
mit Waffen gefüllt ist. Aber der Sinn der Trojaner blieb ver¬ 
blendet. 
Da brachten einige Hirten einen gefangenen Griechen daher, 
den sie im Schilf des Ufers aufgegriffen hatten. Der Mensch nannte 
sich Sinon. Unter lebhaftem Geschrei des neugierigen Haufens ward 
er näher geführt, und alle umdrängten ihn voll Eifers zu hören, 
was er über die Bedeutung aussagen'würde. Das eben hatte der 
Arglistige gewünscht, denn er hatte es früher mit Odysseus verab¬ 
redet, sich von den Trojanern fangen zu lassen und sie dann zu be¬ 
wegen, daß sie das Pferd in ihre Stadt führten. 
Er fing laut an zu weinen und stellte sich lange, als könnte 
und dürste er um alles in der Welt das wichtige Geheimnis nicht 
verraten. „Nein," schrie er, „ich bitte euch, tötet mich lieber auf der 
Stelle!" Um so neugieriger wurden die Trojaner. Endlich gab er 
ihren Bitten und Drohungen nach. „So hört denn," sagte er, „die 
Griechen schiffen jetzt nach Hause. Um eine glückliche Heimkehr ist 
aus Befehl des Priesters dieses Pferd gezimmert als Sühnegeschenk 
für die beleidigte Schutzgöttin eurer Stadt, deren Bildnis Odysseus 
euch frevelmütig entwandt hat. Kömmt das Pferd unverletzt in 
eure Stadt, so wird sie nach dem Ausspruch des Sehers unüber¬ 
windlich sein und die Völker rings umher beherrschen. Das eben 
wollten eure Feinde verhindern: darum bauten sie das Roß so groß, 
daß es nicht durch die Thore geht. Solltet ihr aber wagen, ein 
das der Göttin geweihte Geschenk,' weil es von euren Feinden kömmt, 
die Hand zu legen, so wäre Trojas Untergang gewiß."
	        
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