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Dritter Zeitraum: 1789—1815.
funden, und gegenwärtig lagen die Dinge für eine großartige Umgestaltung
des ganzen Welttheils und besonders für die gedeihliche Ordnung der
deutschen Angelegenheiten ungleich günstiger als im I. 1648.
a. Gestaltung der europäischen Staatengebiete.
Die Hauptfrage des Friedens, die über den künftigen Umfang Frank¬
reichs, war in Paris selbst durch die Verhandlungen der Mächte entschieden
worden. Frankreich erhielt seinen Besitz von 1792 sogar mit einem abrun¬
denden Zuwachs (siehe S. 715), 150 ^-Meilen mit V* Million Einwohnern,
zurück, nebst den meisten Colonieen, die es an England, Portugal und
Schweden verloren hatte. Auch die Vertheilung der Napoleon entrissenen
Lande war schon in Paris und London, zum großen Theile in Ueberein¬
stimmung mit älteren Umriffen, wie sie in früheren Bundesverträgen vorbe¬
reitet waren, vereinbart worden. Es war wie selbstverständlich angenommen
worden, daß England seine wesentlichen Entschädigungen in Colonieen nehmen
würde, Oesterreich in Italien, Rußland im Herzogthum Warschau, Preußen
in Norddeutschland, hauptsächlich in Sachsen. Von den bundesgenössischen
Mittelstaaten waren vier neu herzustellen oder in neue Gebietsverhältnisse
umzuschaffen. In zweien derselben, und gerade in den an Europa's
äußersten Enden gelegenen, in Schweden und Neapel, zugleich den einzigen
Ländern, wo zwei Männer der napoleonischen Kriegsschule hier den Thron,
dort die Thronfolge besaßen, mußte die neue Ordnung der Dinge auf dem
Wege der Gewalt durchgesetzt werden. Dies geschah in Schweden zu Gunsten
Bernadotte's kurz vor dem Beginne des Wiener Congreffes, in Neapel zum
Schaden Murat's kurz vor dem Ende des Congreffes.
Napoleon hatte nach dem Frieden von Tilsit in unverzeihlichem Leicht¬
sinne das mit Frankreich altverbündete Schweden Finnlands beraubt, das
er 1808 an Rußland überließ. Der mißglückte Versuch. Finnland wieder zu
erobern, gab hierauf Anlaß oder Vorwand zu Gustav's IV. Absetzung: die
Kinderlosigkeit seines Nachfolgers Karl's XIII. hatte dann die Adoption
Bernadotte's zur Folge, nachdem der erstgewählte Thronfolger, Prinz Christian
August von Augustenburg, gestorben war und der Nächstausersehene, dessen
Bruder, Herzog von Augustenburg, aus unpolitischem Edel- oder Kleinmuthe
abgelehnt hatte. Von dem Augenblicke seiner Erhebung an hatte dann
Bernadotte gestrebt, seinem künftigen Reiche, zum Ersatz für Finnland, Nor¬
wegen als Mitgift zuzubringen. Dänemark mußte nun im Frieden von
Kiel (14. Jan. 1814) Norwegen aufgeben und erhielt Anfangs Schwedisch-
Pommern und Rügen, später den von Hannover an Preußen gekommenen
Theil Lauenburgs gegen Herausgabe von Pommern und Rügen an Preußen.
Die Norweger aber erklärten in Worten, die 1813 ihr dänischer König selbst
gebraucht hatte, daß über sie nicht wie über eine Heerde verfügt werden solle;
sie sprachen ihre Unabhängigkeit aus, nahmen ihren Statthalter, den dänischen