Full text: Die Hohenzollern von Kaiser Wilhelm II. bis zum Großen Kurfürsten (Teil 1)

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Nachricht erhalten hat. Und so ist es. Auf die dringende Frage des 
hohen Herrn erzählt der junge Mann, eine Depesche sei angekommen. 
Darin stand, seine hochbetagte Mutter in einem Dorfe bei Spandau läge 
im Sterben und verlangte ihn noch einmal zu sehen. 
c. „Da müssen Sie ja unverzüglich abreisen, mein Sieber", sagt der 
Kronprinz teilnehmend. Der Lehrer sieht mit Thränen in den Augen erst 
ihn an und dann die Kinder. Denn ein rechter Lehrer kennt seine Pflicht 
und läßt seine Klasse nicht so leicht im Stiche. So sagt denn auch unser 
Mann: „Aber Königliche Hoheit, die Kinder?" „Gehen Sie nur, machen 
Sie!" entgegnet der Kronprinz — „ich werde den Unterricht übernehmen." 
Und nachdem er den Lehrer selbst zur Thüre geleitet hat, kehrt er zu¬ 
rück, schnallt seinen Säbel ab nnd steigt auf deu Katheder. „Achtung!" 
ruft er, wie vor den Soldaten, „ich werde jetzt 'mal weiter sehen, was 
Ihr könnt." Und damit fährt er ruhig da fort, wo der Lehrer aufgehört hatte. 
Da machten die Buben und Mädels zuerst große Augen. Dann 
aber gingen sie tapfer drein, und Lehrer und Schüler hatten beide ihre 
Freude. Denn der hohe Herr, das merkten sie, verstand das Unterrichten 
wie ihr Lehrer und war doch keiner von denen, die meinen, in die Volks¬ 
schule könne man jeden Beliebigen als Lehrer hinstellen, einen Unteroffizier 
oder einen gar gelehrten Herrn. Als die Geschichtstunde um war, sah 
der Kronprinz auf den Stundenplan. „Aha", sagte er, „da kommt die 
Geographie gleich richtig dahinter. Nun gebt 'mal den Globus her!" 
Ta war nun aber leider keiner vorhanden, sondern der Lehrer nahm statt 
dessen einen dicken Gummiball. Den benutzte der neue Lehrer denn auch, 
und es ging ganz gut, und beiden, dem Prinzen und den Schülern that's 
leid, als die Schule aus war. 
d. Da nun der Kronprinz ein pflichtgetreuer Mann war, so hielt 
er auch hier daraus, daß im Dienste alles vorschriftsmäßig zuging. Die 
Bornstedter Schulkinder hatten noch nicht Zeit gehabt, zu Haufe zu erzählen, 
welch hoher Herr heute ihr Lehrer gewesen war, da fuhr dieser schon bei 
dem erstaunten Pfarrer und Schulinfpektor vor. Der hielt gerade Kon¬ 
firmandenstunde. Da erfuhr er denn nun, daß der Lehrer plötzlich hätte 
abreisen müssen und daß der Kronprinz ihm eigenmächtig Urlaub gegeben 
und ihn ebenso eigenmächtig vertreten hätte. „Und unter den besagten 
Umständen, Herr Schulinfpektor", fügte der hohe Herr freundlichst hinzu, 
„werden Sie mir wohl meine Eigenmächtigkeit vergeben". Das wird denn 
der Herr Pfarrer auch gethan haben. 
2öar das nicht schön gehandelt! Der 'Lehrer wird fein lebelang 
den gütigen Herrn nicht vergessen. Und die Schulkinder auch nicht. Denn 
es kam noch etwas Schönes nach. Vierzehn Tage daraus traf für die 
erste Klasse ein prächtiger Globus ein, noch dicker als der dicke Gummiball 
und zugleich für die armen Konfirmanden eine Anzahl neuer Bibeln; denn 
der Kronprinz hatte mit einem Blicke wohl gesehen, wie viele von diesen 
schadhaft und abgenutzt waren. 
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