P. Corn. Scipio Ämilianus. Einnahme Karthagos. 93
die Stadt Karthago müsse zerstört werden, und die Bewohner
müßten sich wenigstens zwei Meilen von der Meeresküste
ansiedeln. Das war soviel wie die Vernichtung des kartha¬
gischen Staates.
Als dieser Befehl nach Karthago kam, geriet alles in
Wut und Verzweiflung, und man beschloß, sich zu ver¬
teidigen bis aufs äußerste. Tag und Nacht arbeiteten Alt
und Jung, Männer und Fraueu, um Waffen und Wurf¬
geschütze herzustellen, man riß die öffentlichen Gebäude ein,
um Balken und Metall zu erlangen, die Frauen schoren
ihre Haare und gaben sie her zu Bogensehnen. Jung und
Alt trat unter die Waffen, und die Mauern wurden in
Verteidigungszustand gesetzt. Als die Konsuln heranzogen,
um von der wehrlosen Stadt Besitz zu nehmen, fanden sie
zu ihrem Erstaunen die Thore verschlossen und die Mauern
besetzt; sie mußten sich zu einer Belagerung verstehen.
Karthago hatte zur Verteidigung eine sehr günstige
Lage und starke Befestigungswerke; daher zog sich die Be¬
lagerung in die Länge, zumal da die Konsuln der zwei ersten
Jahre den Krieg sehr ungeschickt führten. Da wählten die
Römer für das I. 147 den P. Cornelius Scipio Ämi¬
lianus, einen Sohn des Ämilins Paullus, des Siegers
bei Pydna, welchen ein Sohn des Scipio Africanus an
Sohnesstatt angenommen hatte, zum Konsul und übergaben
ihm das Kommando in Afrika. Er war ein Mann von
37 Jahren, wie sein Vater einfach und von strengen Sitten,
aber von feiner hellenischer Bildung, hatte als Kriegstribun
bisher sich vor Karthago durch Tapferkeit und Führertalent
ausgezeichnet und war ein Liebling des Heeres geworden.
Als Scipio an seine Spitze trat, kam ein neuer Geist in
dasselbe, und der Krieg nahm einen entschiedenen Fortgang.
Bis zum Herbst hatte er die Stadt von dem Land und von
der See aus mit Dämmen und Verschanzungen vollkommen
abgesperrt, während des Winters überließ er sie dem Hunger,
so daß die Menschen haufenweise starben.
Als das Frühjahr 146 kam, war fast aller Widerstand
dahin, und die Römer konnten mit leichter Mühe einbringen.