Object: Die Weltgeschichte in übersichtlicher Darstellung

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Das Mittelalter. 
Januar 
1236. 
rigen, die Statuen der Heiligen, die mannichfalkigen Verzierungen, Reliefe und 
Symbole, die Blumen, die aus jeder Spitze emporblühen und mit einem Kreuze in 
Beziehung stehen — Alles deutet auf die christliche Religion und auf das Ringen 
der Welt und Menschenseele nach dem Göttlichen. Eben so haben auch die Schnitz¬ 
werke in Holz und Elfenbein, die kunstreichen Gußarbeiten, die Bilder über den 
Altären, auf den Fenstern, an den Pfeilern und Decken eine innige Beziehung auf 
Religion und Kirche. Die Aufgabe der mittelalterlichen Kunst schien die zu sein, 
die ewigen Ideen des Glaubens unter einer finnbildlichen Form auszudrücken und 
der innern Anschauung näher zu führen; darum tragen auch die altern Gemälde 
alle den Charakter der Ruhe an sich, weil Ruhe das Wesen des Göttlichen ist, aber 
eine Ruhe voll Leben und Wirken; daher fügte eine glänzende Farbenpracht der 
großen Einheit wieder die Mannichfaltigkeit, der Ruhe die Bewegung bei. — Auch 
die feierlichen Töne der alten Kirchenmusik mit dem ergreifenden Orgelspiel 
dienten der religiösen Andacht und in dem zur innern Sammlung auffordernden 
Glockengeläute sollte die Sehnsucht zum Höhern in der Seele des Menschen 
geweckt werden. 
V. Verfall des Ritterwesens und Entartung der Kirche. 
1. Das Lrvischcnrcich (Interregnum) 1250—1273. 
§. 250. Nach dem Tode Friedrichs II. trat für Deutschland eine verhäng- 
uißvolle Zeit ein. Auswärtige Fürsten ohne Macht und Einfluß führten den 
Kaisertitel, indeß im Innern Unordnung und Gesetzlosigkeit waltete und nur 
der Starke sich Recht zu verschaffen vermochte (Faustrecht). Als Wilhelm 
von Holland (§. 237.) im Kampf wider die tapfern Friesen gefallen war, 
lenkte der Erzbischof von Köln die Wahl auf den reichen Richard von 
Cornwallis, den Bruder des Königs von England, während der Erzbi¬ 
schof von Trier und sein Anhang Alfons X. den Weisen von Castilien 
mit dem Kaisertitel zierten. Jener fuhr einigemale mit Schätzen beladen den 
Rhein herauf, um die Habgier der Fürsten, die ihn gewählt, zu befriedigen; 
der letztere besuchte nie das Reich, zu dessen Herrschaft er berufen war. In die¬ 
ser „kaiserlosen" Zeit suchten die Fürsten und Bischöfe ihr Gebiet zu vergrößern 
und Rechte an sich zu reißen, während die Ritter und Vasallen ihre Stärke zu 
Raub und Wegelagern mißbrauchten. Von ihren Burgen herab, die, wie 
noch jetzt deren Ruinen beweisen, an den Ufern schiffbarer Flüffe oder an der 
Seite belebter Heerstraßen angelegt waren, führten sie ein wildes Raubleben, 
schleppten Reisende in ihre Burgverließe, um schweres Lösegeld zu erpressen, 
plünderten die Güterwagen der Handelsstädte und trotzten hinter ihren festen 
Mauern den machtlosen Gesetzen und Gerichten. Diesem Zustande des Faust¬ 
rechts suchten zu steuern: 1) die heilige Fehme, ein altes in Westphalen „auf 
der rochen Erde" heimisches Gericht, dem der Erzbischof Engelbrecht von Köln 
größere Verbreitung und Macht gab, und daS unter dem Vorsitz eines Stuhl¬ 
herrn zu Dortmund in geheimer Gerichtssitzung über Frevel und Blutschuld 
erkannte, und 2) die von vielen Städten zu gegenseitigem Schutz geschlossenen 
Bündnisse. Unter diesen Städtebündnissen waren besonders die norddeutsche 
Hansa, welche Hamburg, Lübeck, Bremen, Wismar, Rostock, 
Stralsund, Riga und viele andere Handelsstädte umfaßte, und der von 
Worms, Mainz, Speyer, Straßburg, Basel u. a. O. geschlossene 
rheinische Städtebund, dem auch einige Fürsten beitraten, von Wichtigkeit. 
Die Städte bildeten den einzigen Lichtblick in diesen dunkeln Zeiten; sie ver-
	        
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