Full text: Die vorchristliche Zeit (Theil 1)

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zufrieden, entließ die Menge und nahm den Räuber seines Auges mit 
sich in sein Haus. Zerknirscht und erbangend stand der Jüngling vor 
dem Verletzten. Dieser aber sagte ihm kein hartes Wort, entfernte nur 
seine gewöhnlichen Diener und ließ nun den Alkandros deren Dienste 
verrichten. Der Jüngling, dem es nicht an natürlicher Gutmütigkeit 
fehlte, vollzog mit schweigendem Gehorsam die Befehle seines Herrn und 
lernte als ein täglicher Zeuge seines Wandels die Sanftmuth und Ge¬ 
lassenheit, die strenge Lebensart und unermüdete Thätigkeit des großen 
Mannes dermaßen schätzen und verehren, daß er mit aller Liebe an ihm 
hing und Allen das Lob des Lykurgos verkündete. So rächte sich Ly- 
kurgos, indem er aus einem ungesitteten und anmaßenden Jünglinge 
einen tugendsamen Mann bildete. 
Der große Gesetzgeber hatte seine Gesetze nicht aufgeschrieben, gleich¬ 
wie auch Sokrates und der größte Erzieher der Menschheit, unser Heiland 
Jesus Christus, eine schriftliche Aufzeichnung ihrer Lehren unterlassen 
haben. Lykurg war überzeugt, daß öffentliche Einrichtungen nur dann 
sicheren Bestand haben, wenn sie in die ganze Denk- und Lebensweise 
der Bürger übergegangen sind. Er wollte aber jeden einzelnen Bürger 
so erziehen, daß er sich selber ein Gesetzgeber sein könnte. Vor Allem 
suchte er seine Spartaner zu einem starken, abgehärteten Kriegsvolke zu 
bilden. Die Verhältnisse selbst erforderten dieses. Denn die Spartaner 
waren ursprünglich eine Kolonie von Kriegern, die sich mit Gewalt im 
Peloponnes niedergelassen hatten und sich inmitten einer feindseligen 
Bevölkerung auch nur durch Gewalt behaupten konnten. Wie Schild¬ 
wachen im Felde mußten sie immer zum Empfange eines Gegners bereit 
sein. Darum war auch fast ihr ganzes Leben nur dem Kriege geweiht. 
Kein Spartaner trieb Ackerbau oder ein friedliches Gewerbe, — das 
Alles war Sache der Heloten, die nun ein noch härteres Schicksal hatten, 
nachdem die Sklaven Eigenthum des ganzen Staates geworden waren. 
Früher schonten die Herren ihre Sklaven des Vortheils willen, nun aber 
war der Tod eines Sklaven kein Verlust mehr; ja, als sich die Heloten 
vermehrten, sah man es gern, wenn viele derselben hingeopfert wurden. 
Wie weit entfernt war hierin doch das Lykurgische Gesetz von dem Geiste 
christlicher Liebe, die alle Menschen als Brüder betrachtet! Es mag nicht 
in der Absicht Lykurg's gelegen haben, aber doch kam es bald nach 
seinem Tode dahin, daß junge Spartaner auf die Heloten zuweilen 
Jagd machten, wie unsere Jäger auf Hirsche und Rehe, und wer dann 
die meisten erlegt hatte, nmrtie auch am meisten gelobt. 
5. 
Sollte der spartanische Knabe ein tapferer Krieger werden, so mußte 
er früh sich abhärten; den ganzen Tag übte man ihn im Laufen, Schwim¬ 
men, Werfen. Diese Uebungen wurden in leichter Unterkleidung ange¬ 
stellt und die Uebungsplätze hießen Gymnasien, von dem griechischen 
Worte gymnos = nackt. Zu Athen verband man mit diesen Gymnasien
	        
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