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in einem Wagen gefahren, um ihren Gemahl als König zu begrüßen; sie
sieht ihren greisen Vater auf der Straße liegen unb fährt hohnlachend
über dessen Leichnam hin, so daß die Räder des Wagens vom Blute ihres
Vaters sich röthen. Die Straße, in welcher diese Unthat geschah, hieß
von nun an die „verruchte".
IV. Tarquinius Superbus (der Stolze) und Junius
Brutus (der Dumme).
1. Ein übermütiger König.
Tarquinius, der sich aus so schändliche Art des Thrones bemächtiget
hatte, konnte unmöglich die Liebe und das Vertrauen des Volkes gewinnen.
Durch ihn wurde das Königthum, dessen Thron zwei Mal hintereinander
mit Blut befleckt worden war, allen Römern verhaßt. Weil Tarquinius
aach Niemand trauete, bildete er sich eine Leibwache von Ausländern, die
er mit vielem Gelde bezahlte. Er war ein tapferer Feldherr und eroberte
mehrere Städte, vollendete auch den Bau des schon früher begonnenen
Kapitoliums, der Burg Roms, mit dem dreifachen Tempel des Jupiter,
der Juno und Minerva. In der Cella des Jupiter wurden die sibyl-
linischen Bücher — sie trugen den Rauten von den Sibyllen, d. H.
wahrsagenden Weibern — aufbewahrt, in denen theils Prophezeihungen,
theils Rathschläge für wichtige Fälle des Lebens verzeichnet waren. Sie
wurden von den Römern in allen Verlegenheiten und wichtigen Entschlüssen
zu Rathe gezogen. Der stolze König folgte aber nur seinem Gelüst und
von den Rechten feiner Unterthanen wollte er nichts wissen, er drückte die
Patricier und Plebejer. Wer sich ihm widersetzte, den ließ er hinrichten,
so daß zuletzt weder der Senat, noch das Volk ihm zu widerstehen wagte
Man nannte ihn superbus, d. H. den Uebermüthigen, Stolzen. Er schonte
selbst feiner eigenen Verwandten nicht, und nur Einer, Lucius Junius
nachher Brutus genannt, wußte sich seinem Grimme dadurch zu entziehen,
daß er sich blödsinnig stellte. Tarquinius nannte ihn daher spöttisch „den
Dummen" (brutus) und setzte kein Mißtrauen in ihn. Bald aber wurde
der Name Brutus ein Ehrenname.
2. Ein Batcrlandöfrcnud.
Tarquinius belagerte gerade Ardea, eine feste Stadt im Lande der
Rutuler, nur wenige Meilen von Rom entfernt. Eines Abends ritt sein
Sohn Sextus aus dem Lager fort nach dem benachbarten Kollatia und
besuchte dort die edle Lukretia, die Frau des Kollatinus, deren Schön¬
heit in dem Herzen des wüsten Jünglings eine sträfliche Neigung erweckt
hatte. Da Kollatinus im Lager war, glaubte Sextus, die Frau unge¬
straft mißhandeln zu können, doch Lukretia wollte ihre Schmach nicht über»