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gebracht, wiewohl er unser Dienstmann ist." Endlich fragte sie ihren Mann,
warum sich Siegfried und Kriemhild niemals in Worms sehen ließen. Günther
entschuldigte seinen Schwager mit der Weite des Weges. Brunhild aber
sprach: „Wie weit auch eines Königs Mann wohnt und wie reich er ist,
wenn sein Herr ruft, muß er gehorchen. Wie gern möchte ich auch deine
ließe Schwester einmal wiedersehen!" Solche Reden und Bitten trieb sie
täglich. Da sandte endlich Günther herrliche Boten nach Niederland und
lud das Paar zum Sonnenwendfeste nach Worms. Siegfried und Kriem¬
hild sagten zu und beschenkten die Boten reichlich. Als die Zeit gekommen
war, da zog Siegfried mit feinem Weibe, seinem Vater Siegmund, 1000
Rittern und vielen Schätzen nach Worms. Mit Freuden und Ehren wurden
sie empfangen, und ein Fest folgte dem andern.
In Brunhilds Herzen aber nagte die Frage, warum Siegfried fo
lange Zins und Dienst versäumt habe. Einmal, als die Frauen den Kampf¬
spielen auf dem Hofe ^ufahen, fprach Kriemhild voll Glück und Stolz:
„Sieh nur, wie mein Mann vor den Helden einhergeht wie der Mond vor
den Sternen!" Brunhild aber fuhr auf: „Mit nichte« ist dein Mann der
erste Held, sondern König Günther, dem alle Lande dienen, auch dein Mann!
Siegfried hat mir’s selbst auf Island gesagt, daß er Günthers Dienst¬
mann sei!" Kriemhild aber erwiderte: „Mein Bruder wird mich doch
keinem Dienstmann verloben? Ich bitte dich freundlich, laß solche Rede!"
Brunhild aber rief heftig: „Ich lasse diese Rede nicht; Siegfried ist und
bleibt unser Eigenmann!" Da rief Kriemhild zornig: „Dann magst du
lange aus Zins warten, denn Siegfried ist viel edler und mächtiger als
Günther!" „Das wollen wir doch fehen, du Stolze, wer am meisten ge¬
ehrt wird!" entgegnete Brunhild. „Wohl! Morgen beim Kirchgang wird
man sehen, wer den Vortritt hat!" ries Kriemhild, und in Zorn und Haß
trennten sich die Frauen.
Brunhild stand mit ihrem Gefolge an der Kirchthür und wartete, bis
Kriemhild in herrlichem Schmuck mit ihren Frauen erschien. Laut ries sie:
„Die Eigenmagd soll nicht vor der Königin gehen!" Kriemhild aber ant¬
wortete: „Ist Siegfried Günthers Eigenhold, dann hast du dich selbst
einem Eigenholde ergeben, denn er hat dich in seiner Tarnkappe auf dem
Jsensteine und bei der Hochzeit bezwungen!" Da weinte Brunhild laut
auf, Kriemhild aber ging vor ihr in die Kirche. Fromme Gedanken be¬
wegten die Herzen der Frauen im Hause Gottes nicht. Nach der Kirche
wartete Brunhild an der Thür und sagte zu Kriemhild: „Beweise, was
du vorhin gesagt hast!" Da zeigte ihr Kriemhild Ring und Gürtel, die
einst Siegfried der Brunhrld genommen und ihr geschenkt hatte. Da
weinte Brunhild bitterlich und befahl: „Rufet König Günther, daß er
erfahre, wie mich feine Schwester beschimpft hat!" Günther kam, ließ auch
Siegfried rufen und fragte ihn, ob er je die Ehre seines Weibes angetastet
habe. Siegfried schwur im Ringe der Ritter, daß er dies nie gethan.
Dabei sprach er: „Habe ich dein Weib betrübt, so ist mir's über die Maßen
leid. Verbiete aber deinem Weibe lose Reden, und ich will so mit dem meinen
thun!" In Frieden schieden die Männer. Brunhild aber weinte und
jammerte in ihrem Gemach. Da kam Hagen und hörte ihre Klagen. „Der
Mann muß sterben, der meine Herrin also gekränkt hat!" gelobte er.
9. Wie Siegfried verraten und getötet ward. Hagen sprengte
nun ein falsches Kriegsgerücht aus, und alle waffneten sich zum Zuge, auch
Siegfried. Kriemhild war in großer Sorge um ihren Gatten. Als
Polack, Das erste Geschichtsbuch. 8