Full text: Hohenzollernfürsten

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Jugendzeit. Am Abend des 27. Januar 1859 war gauz Berlin in freudiger 
Aufregung. Zweiundsiebzig Kanonenschüsse hatten dem Volke verkündigt, daß 
dem Hoheuzolleruhause ein Erbe geboren sei. In Scharen strömten die Berliner 
nach dem Schlosse des damaligen Prinzen Friedrich Wilhelm, späteren Kaisers 
Friedrich, um Näheres über das freudige Ereignis zu erfahren. Zu den ersten, 
die glückwünschend ihren Besuch machten, gehörte der alte Feldmarschall Wrangel. 
Als derselbe wieder aus dem Schlosse heraustrat, schallten ihm Hunderte von 
Stimmen entgegen: „Excellenz, wie geht's?" „Kinder", antwortete er, „es steht 
allens jut; es ist ein tüchtiger, derber Rekrut, wie man'n nur verlangen kann!" 
Da gab's ein schier endloses Jubeln und Hurrarufen, das sich noch steigerte, als 
sich der Vater und der Großvater des Neugeborueu vom Balkon des Schlosses 
dem Volke zeigten. Am 5. März wurde der Prinz in der Schloßkapelle getauft 
und erhielt die Namen Friedrich Wilhelm Viktor Albert. 
Prächtig entwickelte sich der kleine Prinz, der ursprünglich „Fritz" und erst 
in späteren Jahren Wilhelm gerufen wurde, jedenfalls, um dem Großvater 
eine Freude zu bereiten. Als das Prinzlein dreiviertel Jahr alt war, erschien 
eines Tages eine Anzahl Berliner Bürger bei dem Vater. Diesen wurde selbst¬ 
verständlich der Erstgeborne gezeigt. Da hielt einer der Herren — so erzählt 
man — dem Kinde seine Taschenuhr hin. Sofort packte sie der Prinz und wollte 
sie durchaus nicht wieder hergeben. Der Mann geriet einigermaßen in Verlegen¬ 
heit; doch der Vater legte sich ins Mittel und meinte lachend: „Sehen Sie, was 
ein Hohenzoller einmal in der Hand hat, läßt er so leicht nicht wieder los!" 
Den größten Teil seiner Kindheit verlebte Prinz Wilhelm im Neuen Palais 
bei Potsdam. Den ersten Unterricht erteilte ihm ein junger Volksschullehrer; 
später wurde Doktor Hiuzpeter sein Lehrer und Erzieher. Neben der fleißigen 
Schularbeit wurde auch viel Zeit auf körperliche Übungen im Freien ver¬ 
wandt, auf inuntere Spiele, regelrechtes Turnen, Exerzieren, Schwimmen und 
Reiten. Des Prinzen Lieblingsbeschäftigung war Bootfahren. Er hatte ein 
kleines hübsches Boot zum Geschenk bekommen, das den Namen „Kuckuck" führte. 
In Begleitung eines Offiziers und eines Matrosen wurde, so lauge es das Wetter- 
erlaubte, jeden Morgen in der Frühe eine kleine Segelfahrt auf dem Jungfernsee 
bei Glienicke unternommen. Wie strenge die Erziehung des Prinzen geleitet 
wurde, sehen wir aus einem Vorfall, der sich vor Beginn einer dieser Bootfahrten 
zugetragen haben soll. Eines Tages erschien nämlich der Prinz früher als ge¬ 
wöhnlich an dem Ankerplatz der Boote. Der Matrose, der gerade auf einem 
der Schiffchen an der Arbeit gewesen war, trug noch seinen teerbefleckten Arbeits¬ 
anzug. Voller Entrüstung rief der Prinz seinem Begleiter zu: „Mit diesem 
schmutzigen Menschen fahre ich nicht!" „Hören Sie, Prinz", sagte der Offizier, 
„Sie thun dem Manne bitteres Unrecht, wertn Sie ihn feiner beschmutzten Klei¬ 
dung wegen verachten. In der Ausübung seines Dienstes darf er auf feine Kleiber
	        
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