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saal des Klosters beim Lampenschein saß die Äbtissin Addula mit den
weißgeschleierten Nonnen; sie horchten auf Gregor, den Enkel der Äbtissin,
der aus einem großen Buche mit lauter Stimme vorlas. Plötzlich schaute
er auf: „Horch, Großmutter, draußen reitet jemand!" Alle lauschten;
aber nur der Wind sauste und die Regentropfen schlugen an die Fenster¬
läden. „Es ist nur der Wind!" sprach die Äbtissin; „wer wird noch
reisen so spät in der Nacht und bei solchem Wetter?" Der Jüngling las
noch ein paar Zeilen; aber jetzt vernahmen alle deutlich Hufschläge und
eine Stimme; auch der Pförtner blies ins Horn. Der Vorleser klappte
flink das Buch zu und eilte mit der Äbtissin hinaus in den finstern Kloster¬
hof, wo eben an der Pforte ein fremder Reiter vom Pferde stieg und um
Einlatz bat. „Ick bin der Benediktinermönch Winfried." sprach der *
Reisende, „und komme weit her, — aus Friesland. In Trier waren
schon die Stadttore geschlossen, und so bitte ich euch, nehmt einen armen
Pilger auf in euer Kloster." Während der Pförtner das Pferd in den
Stall führte, geleitete die Äbtissin den Gast in den Speisesaal; Gregor
aber machte sich mit dem Gepäck des Mönches zu schaffen und wich nicht
von seiner Seite. An der Türe des Speisesaales mußte der Fremde sich
bücken, so hoch war seine hagere Gestalt; von seinen.Schuhen lief das
Wasser uud seine schwarze, geflickte Mönchskutte war gauz vom Regen
durchnäßt; er schlug die Kapuze zurück und begrüßte die Nonnen. Die
Äbtissin' sandte eine von ihnen in die Küche, um nachzusehen, was an
kalten Speisen noch da sei. Und während der Fremde aß, betrachteten
alle sein abgemagertes, sonnenverbranntes Gesicht und seine hageren Hände.
„Gott, was muß dieser Mann Schweres erduldet haben!" flüsterte eine
Nonne der andern zu. — „Das ist die erste ordentliche Kost, die ich seit
vielen Monaten wieder genieße," sprach jetzt der Fremde; „wie freue ich
mich, daß ich wenigstens ein paar Nächte wieder ein anderes Lager habe
als den kalten Erdboden, und eine andere Decke als den Wald und den
Himmel!" Nach dem Essen begann er sein Reisegepäck zu öffnen und zu
untersuchen; da war ein Kelch, Bücher von Pergament, kirchliche Kleider
und Büchsen mit Reliquien. Mit Betrübnis nahm er wahr, wie ein
Buch vom Regen durchnäßt und auf einem Blatte die schwarzen und
roten Buchstaben durch Flecken verdorben waren. Gregor betrachtete mit
Staunen diese Dinge und die Äbtissin sprach: „Wie ich an deiner Sprache
merke, bist du einer von den ausländischen Mönchen^ wie sie jetzt bei.uns
herumreisen und den Heiden von Jesus erzählen. Ja, vielleicht bist du
gar der fremde Mönch, den sie Bonifatius nennen. Längst war ich
begierig darnach, diesen Mann einmal zu sehen." Da nickte Winfried,
stützte den Kopf müde auf die Rechte und sprach: