Full text: Von der deutschen Urzeit bis zur Reformation (Teil 1)

238 Die wichtigsten geogrcwhischen Entdeckungen. 
In Hamburg sind die Auswanderer an Bord gekommen. Sie wollen in 
den Prärien oder den Goldminen das Glück versuchen; denn der große Westen 
Amerikas war noch wildes, unbewohntes Land. Heute hat sich die Sturmflut 
der Besiedlung gelegt, alles bewegt sich in friedlicheren, ruhigeren Bahnen. 
Die Ansiedler früherer Zeit sind zum kleineren Teil untergegangen in dem 
Kampf ums Dasein, zum größeren Teil sind sie zu Wohlstand, ja Reichtum 
gelangt, und ihre Briefe nach der Heimat sind die wichtigste Ursache des 
Menschenstromes, der sich aus Europa nach Amerika ergießt! Tie Briefe 
schildern den Verwandten und Bekannten daheim die großen Verhältnisse in 
der neuen Welt, die Leichtigkeit, mit welcher dort Vermögen erworben werden. 
Der Arbeiter, das Dienstmädchen, der Handwerker schreiben ihren Bekannten, 
welche Löhne sie drüben erhalten, Löhne, vier-, fünfmal so hoch als jene, die 
in der Heimat gezahlt werden. Sie schicken sogar das Geld für die Überfahrt, 
und das läßt bei all den Hunderttausenden den Entschluß reifen, nach der 
neuen Welt zu fahren. Was sie zu tun, wie sie es anzufassen haben, alles 
wird ihnen haarklein auseinandergesetzt: und sind sie einmal in der großen 
Hafenstadt, dann brauchen sie sich um nicht viel mehr zu kümmern, als recht¬ 
zeitig an Bord zu sein. In früheren Jahren mußten sie sich Mattatzen, Stühle, 
Decken, Kissen, Eßgeschirre u. dgl. selbst besorgen, heute wird ihnen dies alles 
von der Hamburg-Amerika-Linie ohne Zahlung geliefert. Sie zahlen ihre 
Passage, die zwischen 100 und 150 Mark schwankt. Dafür bringt sie das 
Schiff über den Ozean in den Hafen von New 9)oti 
Aus früheren Zeiten hat "sich hier und dort noch der Glaube erhalten, 
eine solche Fahrt in einem Auswandererschiffe sei mit allerhand Elend und 
Entbehrungen verbunden. Meine eigene Fahrt auf dem „Graf Waldersee" 
gab mir Gelegenheit zu sehen, wie die Auswanderer leben, und wie sie es 
treiben. Der Kapitän hatte nicht das mindeste dagegen, daß ich meine Nase 
in Küche und Provianträume steckte, oder ihn auf seinen Jnspektionsgängen 
begleitete, oder bald den Frühstückskaffee, bald das Abendbrot kostete. „Fragen 
Sie nur", meinte er stets, wenn ich ihm mit irgend einem Anliegen kam. 
So war es mir auf der Fahrt leicht, einen Einblick in das Leben der tausend 
Auswanderer zu bekommen, und ich kann auf Grund dessen wohl 
sagen, daßdie Mehrzahl von ihnen zu Hause kaumso 
gut gewohnt und gegessenhat wie auf dem „G r a s W a l d e r - 
see". Dafür sorgen unter Oberaufsicht des Kapitäns und seiner Offiziere 
die Köche, Proviantmeister und die Zwischendeckstewards (= Kellner). 
An der Spitze der letzteren steht ein Obersteward, auf dessen Schultern 
ein gutes Stück Arbeit und Verantwortlichkeit lastet; denn er ist gewissermaßen 
der Bürgermeister, Polizeichef, Proviantmeister, Feuerwehrhauptmann des 
schwimmenden Dorfes mit seiner internationalen, vielsprachigen Einwohner¬ 
schaft die er je nach ihrer Nationalität einzuquartieren hat, so daß es auf 
der langen Fahrt nicht zu Reibereien kommt. Die ganze Gesellschaft i|t in 
verschiedenen Stockwerken untergebracht, die sich unter dem ganzen Hauptdeck 
vom Bug bis zum Steuer hinziehen. In der Mitte des Hauptdecks erhebt sich 
ein Aufbau von vier Stockwerken für die Kajütenpassagiere, die Offiziere und 
die Wache, unter dem Hauptdeck sind ebensoviele Stockwerke für die Aus¬ 
wanderer und die Ladung, die aus mehreren tausend Tons besteht. Wenn 
man den schwimmenden Koloß im Hafen betrachtet, so glaubt man kaum, daß 
es möglich ist, darin so viel unterzubringen, wie es tatsächlich geschieht. 
Das Zwischendeck ist in den beiden für die Auswanderer bestimmten Stock-
	        
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