Full text: Der erste geschichtliche Unterricht

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Zu diesem Riesenkampfe bot Napoleon alle Kräfte auf. Mit 
600000 Mann überschritt er im Sommer 1812 die ruf- [1S12 
fische Grenze (den Niemen), siegte in mehreren Schlachten und 
drang bis Moskau vor. Eine unheimliche Stille herrschte in der 
großen Zarenstadt, als Napoleon sich ihr näherte. Niemand er¬ 
schien, um ihm die Schlüssel der Stadt zu überreichen; keine neugie¬ 
rige Menge drängte sich herein, ben mächtigen Kaiser zn sehen und 
anzustaunen. Die Stadt war menschenleer. Napoleon bezog den 
alten Zarenpalast, den Kreml. Aber bald brach Feuer in verschie¬ 
denen Stadtteilen aus. Der herbstliche Sturm fachte die Flammen 
an, und in kurzer Zeit war die ganze Stadt ein großes Flammen¬ 
meer. Vergeblich waren alle Versuche, den ungeheuern Brand zu 
löschen; auch der Kreml ward von den Flammen ergriffen. Die 
Russen selbst hatten das Feuer angelegt und die prächtige Stadt 
zum Opfer gebracht, nur um das französische Heer desto sicherer zu 
verderben. Vergebens bot Napoleon den Frieden an. Da beschloß 
er endlich den Rückzug. Aber zu allem Unglück trat ein ungewöhn¬ 
lich früher und strenger Winter ein. Die Lebensrnittel gingen aus, 
und die russischen Soldaten verfolgten die abziehenden Heere. Die 
Not war grenzenlos. Viele erfroren an dem Feuer, das sie sich 
angezündet hatten; viele wurden von den Kosaken eingeholt und 
niedergehauen; viele erlagen dem Hunger und den Beschwerden dev 
anstrengenden Märsche. Unter Mühsalen jeder Art kam endlich der 
Zug Hungriger, Zerlumpter und halb Erfrorener an der Berefina 
an. Zwei Brücken stellten die Verbindung mit dem jenseitigen ltfer 
her. Aber gerade jetzt erreichte das Unglück den höchsten Grad. 
Aus den nächsten Höhen standen die Russen und schossen ununter¬ 
brochen auf die Fliehenden. Auf den Brücken entstand ein fürch¬ 
terliches Gedränge. Jeder wollte der erste sein, der sich rettete, so 
lauge noch Rettung möglich war; doch die Geländer brachen, viele 
stürzten hinunter ins Wasser, andere wurden von den Kanonen über- 
fahren; zuletzt brach die eine der Brücken und unzählige wurden in 
den Fluten begraben. Alle, die das rettende Ufer nicht erreicht hatten, 
gerieten in russische Gefangenschaft. 
Am 5. Dezember verließ Napoleon den traurigen Rest feines 
Heeres und durchjagte die russischen Schneefelder in einem einfachen 
Schlitten. Mit Napoleons Flucht wich alle Zucht und Ordnung 
•*n Heere: Soldaten, Offiziere, Generale, sie alle waren nur aus 
Rettung ihres eigenen Lebens bedacht. Von dem ganzen großen, 
gewaltige» Heer, das nach Rußland gezogen war, kehrte etwa der 
Zwanzigste Teil gesund und waffenfähig zurück.
	        
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