wuchs das Mädchen unter der Aufsicht der Mutter heran. Beim Eintritt
in die Ehe brachte die Braut ihrem zukünftigen Manne keine Aussteuer
mit; ein Waffengeschenk war ihre einzige Gabe. Dagegen war es Sitte, der
Braut Geschenke zu reichen. Die Morgengabe der Braut bestand gewöhnlich
in einem Gespann Rinder, einem gezäumten Schlachtroß, Schild und Schwert.
Diese Gaben hatten bei den Germanen eine tiefe Bedeutung. Die Frau
sollte dadurch an ihre Pflichten erinnert werden. Im Hanse war sie die
gebietende Herrin über das ganze Hauswesen; ihr gehorchten Knechte und
Mägde, ihr lag auch die Erziehung der Kinder ob. Auch war sie der Arzt
des Hauses und kannte heilsame Kräuter für Kranke und Verwundete.
Im Krieg folgte sie dem Manne als treue Genossin. In Freude und
Leid, in Glück und Gefahren stand sie ihrem Manne zur Seite, mit ihm
wollte sie leben ltuo sterben. Daraus erklärt sich die hohe Achtung, welche
die Germanen für die Frauen hatten. Man glaubte selbst, es wohne ihnen
etwas Heiliges bei, und sie könnten mit prophetischem Blicke die Zukunft
enthüllen. Deswegen hörte man ihren Rat uud folgte den Aussprüchen
weiser Frauen oder Seherinnen, Alnmeit genannt. Eine solche Seherin
von übermenschlicher Grö&e soll dem römischen Feldherrn Drusus, der bis
an die Elbe vorgedrungen war, erschienen sein. „Wie weit willst du noch
vordringen, unersättlicher Drusus!" — ries sie ihm zu; „es ist dir nicht
Geschieben, alle diese Länder zu sehen. Weiche von hinnen; deiner Thaten
und deines Lebens Ziel ist nahe!" Diese wunderbare Erscheinung er¬
schreckte den römischen Helden; er kehrte um, stürzte aber auf dem Rückwege
mit dem Pferde und starb nach wenigen Wochen an den Folgen dieses
Unfalles.
7. Tie Religion der alten Deutschen.
Unsere Vorfahren waren Heiden. Sie verehrten die großen Kräfte und
Erscheinungen der Natur: Sonne uud Mond, die Erde und das Feuer. Doch
geschah die Verehrung ihrer Götter nicht in Tempeln, sondern in heiligen
Hainen und Wäldern; auch machten sie sich keine Bildnisse von ihren Göttern.
Ihr höchstes Wesen war Wodan oder Odin, der auch den schönen
Namen „Allvater" hatte. Er galt für den Vater der Götter und Menschen;
von ihm kam jede gute Gabe; er regierte die Welt und leitete die Schick¬
sale der Menschen. Seine zwei Söhne, Donar und Ziu, unterstützten ihn
in der Weltregierung: Donar war der Gott des Donners und des Wetters,
und Zin der Kriegsgott.
Zu den niedern Göttern gehörten Fro, Freyja und Hertha. Fro war
der Gott der Fruchtbarkeit und des Friedens; seine Schwester Frevja die
Beschützerin der Ehen, Hertha die ernährende Mutter Erde, welche besonders
auf der Insel Rügen verehrt wurde.
Die alten Deutschen glaubten fest an die Unsterblichkeit der Seele.
Daraus erklärt sich auch die Sitte, den Verstorbenen mit seinen Waffen,
feinem Rosse und selbst seinen Sklaven zu verbrennen. Die gefallenen Helden
kamen nach Walhalla, Wodans Himmelsburg, wo sie mit Jagen uud Kämpfen
ein fröhliches Leben führten. Nach den geendeten Kampfspielen schmausten
die Helden au langen Tafeln das Fleisch des Skrimer, eines Schweines, welches
immer ganz blieb, auch wenn man täglich noch so viele und noch so große
Stücke davon abschnitt. Dazu tranken sie köstlichen Gerstensaft, den die
Göttinnen herumreichten. Auch Milch war im Überfluß vorhanden; denn
die Euter der Heydrun-Ziege versiegten nie. So dachten sich die Germanen
Wodans Himmelsburg. Dahin gelangten aber nur die im Kampfe gegen