Full text: 100 Geschichtsbilder aus Erfurt und Thüringen

Dietrich ist nur noch Johann Philipp 1664 als Eroberer einge¬ 
zogen, ihm mußte die Stadt ihr Landgebiet und das gesamte 
Stadlvermögen uberlassen. iNach Prof. Dr. Carl Beyer.) 
31. Erfurt im 14. Jahrhundert. 
Ein Stadtbild. 
Der heutige Mensch ist kaum noch imstande, sich das Stratzen- 
leben einer mittelalterlichen Stadt in seiner ganzen Vielgestaltig¬ 
keit vorzustellen. 
Aeutzeres der Stadt: Die Gassen waren damals schmale 
Häuserreihen, die sich oft so nahe gegenüberstanden, daß die Nach¬ 
barn sich ohne allzugroße Anstrengung über sie hinweg die Hand 
reichen konnten. Schon das Obergeschoß war stark übergebaut, 
und das „Uebergezimbre" ragte mit jedem neuen Stockwerk weiter 
bor. Oft neigten sich die Spitzen der Giebel so nahe gegenein¬ 
ander, daß Licht und Luft nur sehr dürftig in die Gassen und 
in die Häuser hinabdringen konnten. In der Erfurter Altstadt 
finden sich heute noch zahlreiche Gassen, die mit ihrer ganzen Re¬ 
gellosigkeit und Enge aus dem frühen Mittelalter stammen, nur 
daß die alten Häuslein längst verschwunden sind und daß die 
heute dort stehenden Häuser gar keinen Begriff von dem starken 
„Uebergezimbre" der alten Zeiten geben. Besonders bezeichnend 
für die Beschaffenheit der Straßen im alten Erfurt ist, daß man 
die Marktstraße, heute in ihrem östlichen Teile eine der engsten 
Verkehrsstraßen der Stadt, die „breite Straße" ober auch kurzweg 
„die Straße" nannte, weil in ihr zwei Wagen vorüberfahren konnten. 
Dann kam im alten Erfurt noch etwas anderes hinzu: die 
Klingen. Es gab viele Gassen, in denen die offenen, von der 
Gera und der Hirschlache gespeisten Kanäle die ganze Breite ein¬ 
nahmen. Ließen die sonstigen Verhältnisse der Gasse einen Wagen¬ 
verkehr überhaupt zu, dann fuhren bie Wagen eben in ben Klin¬ 
gen, also im Wasser. Ja, an einigen Stellen, z. B. am Langen 
Stege, ber heutigen Schlösserbrücke, mußten bie Wagen, wenn sie 
das jenseitige Ufer gewinnen wollten, burch bas Flußbett fahren. 
Allerbings war ber Wagenverkehr damals nicht groß und brauchte 
darum auf ihn bei der Anlage der Gassen und Brücken nur ge¬ 
ringe Rücksicht genommen zu werden. Der Leiterwagen eines 
Bauern oder ein Wagen mit Kaufmannsgütern — das war so 
ziemlich alles, und es mag wohl geschehen fein, daß sich in vielen 
Straßen tagelang kein Wagen sehen ließ. Für die Fußgänger 
waren Trittsteine in die Klingen gelegt. Sie ermöglichten es, 
trockenen Fußes von einer Seite der Gasse zur andern zu kom¬ 
men. Die letzten dieser Klingen sind erst mit dem Ban der Wasser¬ 
leitung (nach 1870) verschwunden. Bis dahin haben sie ihre Be-
	        
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