Full text: [Teil 4 = Kl. 6, [Schülerband]] (Teil 4 = Kl. 6, [Schülerband])

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Haar deckte ein sächsischer Strohhut. An dem langen Gewände mar 
nicht Wehrgehenk, nicht Waffe sichtbar; nur die Axt, die jeder Reisende 
in der Wildnis führte, steckte im Sattel. Nach dem großen Ledersack, 
der vor ihm über dem Sattel befestigt war, mochte man ihn für einen 
Händler halten. Ihm zur Seite trabte ein Jüngling in gleicher Tracht 
und Allsrüstung, der auch auf dem Rücken ein Bündel trug und in der 
Hand einen Baumzweig, mit dem er sein Rößlein antrieb. 
Durch Sand und über Steinblöcke zog sich der rauhe Pfad zwischen 
alten Kiesernstämmen von einer Erdwelle zur andern. Aus dem braunen 
Grullde wuchs wenig anderes als Wolfsmilch, Heidekraut und dunkle 
Waldbeeren. Es war still im Walde, nur die Krähen schrien über den 
Wipfeln; die heiße Lust war mit Harzgeruch erfüllt, und kein Windes¬ 
hauch kühlte die erhitzten Wangen. — Der Pfad senkte sich in ein 
stilles Waldtal, führte durch sumpfigen Grund und das Bett eines Baches 
und stieg auf der andern Seite wieder in den Wald. 
Als das Abendrot sich über den Himnrel breitete, ritt der Führer 
einen schmalen Weg bergauf. Die Rosse der Reisenden klommen mühsam 
nach durch dichtes Holz bis auf eine Berghöhe. Der Gipfel war ein 
unebener Raum, baumlos, mit niedrigem Buschwerk und wilden Blumen 
bewachsen. Nur eine mächtige Esche erhob sich in der Mitte aus dem 
niedrigen Kraut. Der Führer sprang vom Roß und neigte sich tief 
gegen den Eschenbaum. Dann wandte er sich der Esche zu und sprach 
ehrfürchtig: „Dies ist der heilige Baum der hohen Schicksalsfrauen. 
Schutz vor schädlichen Gewalten hat die Stelle, und darum habe ich 
euch hierher geführt." 
Als nun der Führer sich anschickte, weiter abwärts vom Baume 
den Zaun für das Nachtlager zusammenzuschlagen, rief der Fremde 
befehlend hinunter: „Hierher, Ingram! Trage die Pfähle herauf, wir 
rasten am Baume." Ingram stand unbeweglich und antwortete finster: 
„Das geht nimmer an; denn wisse, nicht ich habe jenen Baum zu 
scheuen, sondern du. Weit bekannt ist er in: Lande, und um ihn 
schwebt seit der Urzeit die Gewalt der Götter, die dir feind sind und 
nicht mir." — „Ob sie mir feind sind, will ich dir zeigen, wenn bu 
mir folgst," antwortete der Fremdling und schritt dem Baume zu. 
Er hob seine Axt und rief: „Haben sie Grimm, so mögen sie zürnen; 
haben sie Macht, so mögen sie mich treffen wie ich diesen Stamm!" 
Und mit starkem Schwünge schlug er die Axt in den Baum. Der 
Führer trat zurück, griff nach seiner Waffe und starrte gen Himmel, ob 
von dort die Strafe der Götter den Frevler treffe. Aber alles blieb 
still, nur ein trockener Zweig mit Eschensamen fiel herab. „Sieh her," 
rief der Fremde, auf das Samenbündel weisend, „das ist der Zorn 
deiner Götter. Der Herr aber, dem ich diene, ist der Gott, der Himmel 
und Erde gemacht hat. Er allein ist ewig und allmächtig von der Ur-
	        
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