121. Die Waffenstreckung bei Seban.
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„Ist das alles?" fragte Bismarck. — „Ja", antwortete der General.
— „Aber wessen Degen ist denn eigentlich der, den der Kaiser Napoleon III.
übergeben hat? Ist es der Degen Frankreichs oder nur sein eigener Degen?
Ist es der Degen Frankreichs, so können die Bedingungen ganz erheblich ge¬
mildert werden und Ihre Botschaft hätte ein ganz außerordentliches Gewicht."
— „Es ist nur der Degen des Kaisers", antwortete der General. — „In
diesem Falle," sagte General Moltke, „ändert sich nichts an den Bedingungen;
für seine Person aber wird der Kaiser erhalten, was immer er ver¬
langen mag."
Der Brief des Kaifers war also nur eine Falle gewesen, welche der
Großmut des Königs Wilhelm gestellt war. Wenn er nicht durchschaute,
was der kaiserliche Brief absichtlich im Dunkeln ließ, so sollte er in dem
Glauben, Frankreich selber liege ihm zu Füßen und ein rascher Friede sei
schon ein Opser wert, so lange gelassen werden, bis er gerührt durch das
schreckliche Schicksal des Kaisers die Zusage gegeben hätte, er wolle die Armee
entlassen und dann erst sollte er erfahren, daß er nicht das Oberhaupt Frank¬
reichs, sondern lediglich einen ganz gewöhnlichen Schlachtenbummler gefangen
genommen habe. Das war die Hinterlist, die durch dieses Gespräch zu
Douchery gleichzeitig aufgedeckt und vereitelt ward. Dem General Wimpften
blieb jetzt nichts übrig als Unterwerfung oder neuer Kampf und zum letztem
schien er entschlossen. Er erklärte dem General Moltke: „Wir nehmen den
Kampf von neuem auf", worauf Moltke antwortete: „Die Waffenruhe erlischt
morgen früh um 4 Uhr. Genau um 4 Uhr eröffne ich das Feuer."
Alles war aufgestanden um nach den Pferden zu rufen. Seit den
letzten Worten des Generals Moltke herrschte ein eisiges Schweigen, niemand
sprach ein Wort, da wandte sich Graf Bismarck von neuem an den General
Wimpffen und sagte: „Ja, General, Sie haben tapfere und heldenmütige
Soldaten, ich zweifle nicht daran, daß Sie morgen Wunder der Tapferkeit
verrichten und uns empfindliche Verluste beibringen werden; aber was würde
das helfen? Morgen abend werden Sie nicht weiter sein als heute, nur
werden Sie das ganz unnütz vergossene Blut Ihrer und unserer Soldaten
auf dem Gewissen haben. Lassen Sie sich durch einen Augenblick des Unmuts
nicht bestimmen die Beratung abzubrechen. Der General von Moltke wird Sie,
wie ich hoffe, überzeugen, daß jeder Widerftandsverfuch Ihrerseits Torheit wäre."
Man setzte sich wieder und General Moltke begann von neuem: „Ich
wiederhole Ihnen die Versicherung, daß ein Durchbruch niemals gelingen
kann, selbst wenn Ihre Truppen sich in den allerbesten Stellungen befänden;
denn, abgesehen von der großen Überlegenheit meiner Streiterzahl und meiner
Artillerie, nehme ich Stellungen ein, aus denen ich Sedan in einigen Stunden
in Brand fchießen kann. Diese Stellungen beherrschen alle Ausgänge, durch
welche Sie versuchen könnten den Kreis, der Sie umschließt, zu verlassen und
sie sind so stark, daß es unmöglich ist sie wegzunehmen."