12 Brief einer ostpreußischen Mutter an ihre Tochter über ihre Flucht.
Pferde, zu großen Herden von unserem Landsturm zusammengetrieben, vor
dem Feinde in Sicherheit zu bringen.
Oft gerieten die Flüchtlinge zwischen russische Soldaten und wurden von
diesen beschossen. Alte und kranke Leute starben am Wege. Not und Elend
war rings umher. Standesunterschiede gab es nicht mehr. Ein Graf war auf
der Flucht mit einem Platz im Eisenbahnviehwagen ebenso zufrieden wie
sein Jnstmann. Aus Gumbinnen flüchtete eine über hundert Jahre alte
Witwe nach Berlin. Tausende von Frauen waren mit ihren Kindern auf
der Flucht auf sich allein angewiesen, da ihre Männer fürs Vaterland
kämpften. Das war eine traurige Völkerwanderung, die jeden mit tiefem
Weh erfüllen muß! Nach M. Brügmann, „Aus Ostpreußens Russennot".
Verlag des Evangel. Bundes. Berlin W 35.
11. Brief einer ostpreußischen Mutter an ihre Tochter
über ihre Flucht.
Mit Tränen in den Augen teile ich Dir mit, daß wir noch alle hier
am Leben sind. Wir haben bloß unser nacktes Leben gerettet. Am 17. August
1914, nachts um zwölf Uhr, mußten wir unsere Wohnungen verlassen; denn
die Kosaken kamen durch den Wald und haben unsere Landwehrleute, die
in der Umgegend waren, beschossen. Als die Landwehrleute abends um
elf Uhr von Beltkehmen durch die Brücke kamen, da hieß es: „Rette sich,
wer kann!"
Wir waren noch auf, und kannst Du Dir denken, wie es da herging.
Ich riß die Kinder aus dem Schlaf, und Vater lief, die Pferde an die
Wagen zu spannen. Ich zog die Kinder an, und Emma packte noch etwas zu
essen und Bettzeug ein. Da mußten wir auch schon losfahren. In Walter-
kehmen bei Gumbinnen blieben wir über Nacht.
Am Nachmittag des 18. August fuhr Otto mit einem Rad nach Hause,
um die Schweine zu füttern und die Ställe aufzumachen. Als er damit
fertig war und losfahren wollte, kamen schon wieder Kosaken. Sie haben auch
nach ihm geschossen. Aber Otto kann sehr schnell fahren, so daß ihn keine
Kugel getroffen hat.
Als er dann wieder in Walterkehmen anlangte, wurden die Walter-
kehmer alle gefangen genommen und mußten ihr Vieh nach Rußland treiben.
Otto aber ging schnell durch den Fluß. Wir waren schon vorher weiter ge¬
fahren und ebenfalls auf der anderen Seite des Flusses. So sind wir alle
davongekommen.
Dann fuhren wir bis Friedland. Da trafen wir wieder Russen. Aber
diese taten uns nichts, nur das Brot nahmen sie uns weg. Ich kann Dir
sagen, mein liebes Kind, wie es uns da ergangen ist! Überall, wohin wir
kamen, gab es nichts mehr zu kaufen; da mußten wir hungern.
Wir fuhren weiter bis Preußisch-Eylau, wo wir auch Brot kaufen
konnten, und blieben dort 14 Tage lang, aber immer zwischen den Russen.
Der alte Gröll war uns unterwegs gestorben, den mußten wir in Wehlau