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ihm herabgelassen. Jetzt schwebt er über dem Abgrunde der Spalte, in 
welcher das ersehnte Geieradlernest steht. Er nimmt es aus und hat drei 
junge Geieradler mit weißlichgelben Flaumen in seiner Hand. Er hat seinen 
Brüdern zugerufen, das Seil aufzuziehen; seine Stimme schallt weit durch 
s die Klüfte, aber sie hat auch das Ohr seiner Feinde erreicht. Plötzlich sieht 
er sich von zwei Geieradlern, den Eltern der Jungen, die er trägt, wüthend 
angefallen; alle anderen Raubvögel, auch Bewohner dieses Felsens, erheben 
ein furchtbares Geschrei und scheinen den Geieradlern helfen zu wollen. Er 
sieht sich von einem furchtbaren Schwarm umringt und von den Geieradlern 
1o immer heftiger angegriffen. Er muß, um sich gegen sie zu vertheidigen, den 
Säbel, den er mit außerordentlicher Geschicklichkeit führt, beständig über 
seinen Kopf schwingen und sich nach allen Seiten hin decken. Plötzlich spürt 
er eine heftige Erschütterung des Seiles, er blickt auf und sieht, daß er in 
der Hitze des Gefechtes das Seil mit der Schneide des Säbels getroffen und 
s dieses zu drei Viertheilen durchgehauen hat. Bei diesem Anblicke überläuft 
ihn ein furchtbarer Schauer, und er erwartet schweigend in unbeschreiblicher 
Angst das Los, welches ihm die Vorsehung bestimmt hat. Endlich ist er 
oben, hat festen Fuß gefaßt und legt seine jungen Geieradler hin, ein lautes 
Freudengeschrei seiner Brüder begrüßt ihn; — aber bei genauerer Betrach— 
2o tung erkennen sie ihn kaum, — seine Haare sind weiß geworden. 
201. Apenwirtschaft. 
Bumüller und Schacht. 
Auf den Bergwanderungen kehren wir in den Sennhütten ein, um uns 
zu erquicken; die Hütte ist roh aus Balken und Steinen zusammengefügt, die 
Fugen sind mit Moos verstopft. Stühle zum Niedersetzen giebt es nicht, 
außer dem Melkstühlchen mit einem Fuße. Wir müssen auf dem Boden Platz 
26 nehmen, wenn nicht ein Holzklotz aufzutreiben ist. In der einen Ecke hängt 
der große Käsekessel über dem Feuer, dessen Rauch zur Thür hinauszieht 
oder durch Ritzen und Spalten Nebenwege sucht. Auf der andern Seite 
endet die Hütte in einen Stall, dessen Bewohner sich durch Grunzen zu er— 
kennen geben. Auf der Decke des Stalles ist Heu ausgebreitet; ein paar 
0 grobe leinene Tücher oder Säcke verrathen bald ihre Bestimmung — hier 
ist das Bett des Sennhirten. Dieser holt aus einer Höhle, die im Hinter— 
grunde der Hütte gegraben ist, Milch, Butter und Käse und ermahnt, tapfer 
zu essen, denn beim Bergsteigen bekomme man Hunger — und daß er Recht 
hat, beweisen wir. Aber welcher Wohlgeschmack, diese Milch und diese Butter! 
* Wer noch nie in den Bergen gewesen ist, kann es gar nicht glauben, daß 
sie so ganz anders schmecken als in den Ebenen. Da wachsen aber freilich 
auch ganz andere Futterkräuter als im Thale; betrachte einmal den Rasen 
der Ap (so nennt der Senne seine Bergweide), wie dunkelgrün, wie dicht, 
unter dem Fußtritte anschwellend wie ein grünes Sammetpolster; da sieht 
w man keine hochgeschossenen, dürren Halme, keine Disteln und Herbstzeitlosen, 
aber verschiedene Arten von Klee mit rother, gelber und weißer Blüte und 
andere Kräuter, welche die Ebene nicht kennt. 
Schon im Anfang des Mai ziehen die Sennen mit Ziegen und Schafen 
auf die Alp, vier Wochen später langen dann auch die Kühe an, gewöhnlich 
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