1, Das Nibelungenlied
1. Siegfried. Zu Xanten am Niederrhein herrschte König
S i e g m u n d mit seiner Gemahlin S i e g e l i n d e. Sie hatten einen
einzigen Sohn, Siegfried, den sie mit aller Liebe und Sorgfalt
erzogen. Fröhlich in blühender Jugend wuchs der Knabe auf, herr¬
lich an Leib und Geist. Schon früh offenbarte er eine gewaltige
Körperkraft und Kühnheit. Bald konnten seine Waffenmeister ihn
nichts mehr lehren. Als er eben zum Ritter geschlagen war, litt es
ihn nicht mehr in der väterlichen Vurg, und trotz des Vaters War¬
nungen und der Mutter Bitten zog er, noch halb ein Knabe, auf
Abenteuer aus. Er durchstreifte viele Lande und kam auf einer Fahrt
gen Norden auch in das Reich der Nibelungen. Die beiden Könige
des Landes, Schilbnng und Nibelung, waren gerade daran, einen
unermeßlichen Schatz, der in einem hohlen Berge verborgen lag, unter
sich zu teilen. Da sie aber uneinig waren, wählten sie Siegfried zum
Schiedsrichter und gaben ihm im voraus zum Lohne ein herrliches
Schwert, namens Balmung — zu ihrem eigenen Verderben. Denn
obwohl Siegfried den Schatz gerecht und billig unter sie verteilte,
waren sie doch unzufrieden und schmähten in ihrem Undank den
Schiedsrichter heftig. Es kam zum Streite, und da erhielten sie den
Lohn für ihren Neid. Der junge Held erschlug sie mit dem neuen
Schwerte beide. Es konnte ihnen auch nichts helfen, daß sie zwölf
Riesen zu ihrer Hilfe herbeigerufen hatten. Siegfried war nun einmal
an der Arbeit; wie der Blitz wetterte der Balmung unter die unge¬
fügen Gesellen, und nicht lange, so lagen alle zwölf tot am Boden.
Entsetzt flehten die übrigen Nibelungen um ihr Leben und unterwarfen
sich dem jungen Helden als ihrem König. Aber durch das Kampf¬
getöse herausgelockt, kam des Schatzes Hüter, der Zwerg Alberich,
aus dem Berge hervor, und als er seine Herren erschlagen sah, wollte
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