Object: Moderne deutsche Dichter

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schreitend, nachhelfend und die gelehrtesten Dinge selbst beibringend. Jede 
halbe Stunde wurde mit dem Gegenstande gewechselt; der Oberlehrer 
gab ein Zeichen mit einer Klingel, und' nun wurde ein treffliches Ma— 
növer ausgeführt, mittelst dessen die hundert Kinder in vorgeschriebener 
Bewegung und Haltung, immer nach der Klingel aufstanden, sich kehrten, 
schwenkten und durch einen wohl berechneten Marsch in einer Minute die 
Stellung wechselten, so dass die früher fünfzig Sitzenden nun zu stehen 
kamen und umgekehrt. Es war immer eine unendliche glückliche Minute, 
wenn wir, die Hände reglementarisch auf dem Rücken verschränkt, die 
Knaben bei den Mädchen vorbei marschierten und unsern soldatischen 
Schritt gegen ihr Gänsegetrippel hervorzuheben suchten. Ich weiß nicht, 
war es eine artige herkömmliche Nachlässigkeit oder gar eine Absicht, 
dass es erlaubt war, Blumen mitzubringen und während des Unterrichts 
in den Händen zu halten, wenigstens habe ich diese hübsche Licenz in 
keiner andern Schule mehr gefunden; aber es war immer gut an— 
zusehen während des lustigen Marsches, wie fast jedes Mädchen eine 
Rose oder eine Nelke in den Fingern auf dem Rücken hielt, während die 
Buben die Blumen im Munde trugen wie Tabakspfeifen oder dieselben 
burschikos hinter die Ohren steckten. Es waren alles Kinder von Holz— 
hackern, Taglöhnern, armen Schneidern, Schustern und von almosen⸗ 
genössigen Leuten. Bessere Handwerker durften ihres Ranges und Credits 
wegen, die Schule nicht benützen. Daher war ich der best und reinlichst 
gekleidete unter den Buben und galt für halb vornehm, obgleich ich bald 
jehr vertraulich war mit den buntscheckig geflickten armen Teufeln, ihren 
Sitten und Gewobhnheiten, insofern sie mir nicht allzu fremd und 
unfreundlich waren. Denn obgleich die Kinder der Armen nicht schlimmer 
und etwa boshafter sind als die der Reichen oder sonst Geborgenen, im 
Begentheil eher unschuldiger und gutmüthiger, so haben sie doch manch⸗ 
mal äußerliche grinsende Derbheiten in ihren Geberden, welche mich bei 
einigen Mitschülern abstießen. 
Die Kleidung, welche ich damals erhielt, war grün, da meine Mutter 
aus den Uniformstücken des Vaters eine Tracht für mich schneiden ließ, 
für den Sonntag einen Anzug und für die Werktage einen. Auch fast 
alle nachgelassenen bürgerlichen Gewänder waren von grüner Farbe; bis 
zu meinem zwölften Jahre aber reichte der Nachlass zur Herstellung von 
zrünen Jacken und Röcklein aus bei der großen Strenge und Aufmerk⸗ 
amkeit der Mutter für Schonung und Reinhaltung der Kleider, so dass 
ich von der unveränderlichen Farbe schon früh den Namen „grüner 
Heinrich“ erhielt und in unserer Stadt trug. Als solcher machte ich in 
der Schule und auf der Gasse bald eine bekannte Figur und benutzte 
neine grüne Popularität zur steten Fortsetzung meiner Beobachtungen 
und chorartiger Theilnahme an allem, was geschah und gehandelt wurde. 
Ich drang mit den verschiedensten Kindern, je nach Bedürsnis und Laune, 
in die elterlichen Häuser und war als ein vermeintlich stilles gutes Kind
	        
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