Full text: Der erste selbständige Geschichtsunterricht auf heimatlicher Grundlage

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Wieder auf seiner Burg aufhielt, ward es dem Könige Karl an¬ 
gesagt und er wollte den Widukind fangen. Aber auch Widukiud 
erfuhr, was Karl vor hatte nud floh. Die Franken hinter ihm 
her und fast hätte Karl ihn erreicht im Hone, wo die Franken 
den Weg durch ein Verhack versperrt hatten. Widukind ritt einen 
schwarzen Hengst mit glänzender Mähne, klein aber schnellfüßig. 
Zu dem spricht er in dieser Gefahr: 
„Hengst'ken spring awer, 
Kriegst'n Spint Hawer, 
Springste nich awer, 
Frätet die im mi Rawen." 
Da schoß das kluge Tier wie ein Pfeil über den Verhau hin 
und trug seinen Reiter sicher nach Osnabrück, wo es tot zu¬ 
sammenstürzte. !) 
2. Widukinds Taufe. (Sage; erzähleu.) 
Wittekind begann an der Macht seiner Götter zu verzweifeln. 
Eine unwiderstehliche Gewalt zog ihn fort, den furchtbaren Karl 
auch außer der Schlacht zu sehen. Als das Weihnachtsfest her¬ 
ankam, verließ Wittekind mit seinem Freuude Alboin heimlich in 
Bettlerkleidern das Heer der Sachsen, und sie erreichten gerade 
an einem Festtage die Stadt, in welcher Karl sein Hoflager hielt. 
Ein großes erhabenes Gebäude, das sie für die Wohnung des 
Frankenkönigs hielten, zog ihre Blicke auf sich, uud da die Pforten 
weit geöffnet waren und viele Menschen hineingingen, traten auch 
sie ein. Aber es war nicht das 5)aus des Königs, in das sie 
kamen, sondern das Haus Gottes. Da erblickten sie den gewal¬ 
tigen Karl, den sie sonst nur im Kampfe mit dem Schwert in der 
Hand geseheu, wie er in tiefer Andacht und Demnt mit vielen 
fränkischen Edeln vor dem Altare kniete, wo eben das Abendmahl 
ausgeteilt wurde! Weihrauchdust wallte empor, und in Gesängen 
priesen die Priester die heilige Nacht. Da ahnten sie bald, wo 
sie waren. Doch hier stand kein blutiger Opferaltar, hier klang 
nicht das Todesächzen unglücklicher Schlachtopfer; hier war hei¬ 
liger Frieden. Wittekind und Alboin wurden tief erschüttert und 
als die Andächtigen alle ans ihre Knie fanken, konnten auch sie 
nicht widerstehen. 
Nach dem Gottesdienst verließen sie schweigend die Kirche 
und gesellten sich zu einer Anzahl von Bettlern, die an der Tür 
den König erwarteten. Wittekind saß auf den Stufen uud hielt 
sein Auge fest auf Karl geheftet und streckte, um unerkannt zu 
bleiben, auch seine Hand nach Almosen aus. Aber Karls durch¬ 
dringender Blick erkannte gar bald den Helden, der ihm oft den 
Kampf so heiß gemacht hatte. „Ich habe hier kein Almosen für 
J) Hierzu Hartmann's Gedicht: „Hengstchen, spring über'n Verhau".
	        
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