Full text: Deutsches Lesebuch für Mittelschulen

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II. Epische Dichtungen. 
Der Kurfürst hält sogleich, um abzusteigen, 
Indem er heimlich einem Lächeln wehrt, 
Da sich der Graf so hurtig drauf geschwungen, 
Als sei ihm was für eine That gelungen. 
4. „Sieh doch, es ist gewohnt voraus zu traben!“ 
Dies rufend kehrt sich nochmals Arco jetzt, 
Im Angesicht die Freude eines Knaben, 
Den man zum erstenmal auf’s Koss gesetzt. 
Der Fürst erstaunt: „Was mag er doch nur haben, 
Dass er sich so an meinem Koss ergötzt? 
Er freut ja dessen sich, als trüg der Schimmel 
Ihn wahrlich heute noch hinauf gen Himmel!“ 
5. Max hat sich kaum auf’s andre Ross geschwungen, 
Des Grafen Worte kaum hei sich gedacht, 
Die ahnungsvoll im Herzen nachgeklungen, 
Als aus der Felsenkluft es plötzlich kracht, 
Und eine Kugel Arco’s Herz durchdrungen; — 
Den Blick umschleiert von des Todes Nacht, 
Sinkt ohne Laut der edle Graf vom Pferde 
Und liegt als Leiche rücklings auf der Erde. 
6. Mit einem Schrei in selbiger Sekunde 
Springt Max vom Ross’ und eilt zum Freunde schnell 
Und reisst das Koller auf und sucht die Wunde. 
Es strömt dahin des Lebens Purpurquell; 
Die Seele küsst er ihm vom bleichen Munde, 
Und küsst die Augen, sonst so klar und hell, 
Doch allzu rasch im Tode nun gebrochen, 
Indem er klagend so dabei gesprochen: 
7. „Du treue Seele, kehre heim in Frieden, 
Zu deinem Gott in’s bess’re Vaterland! 
Du warst zu gut für diese Welt hienieden! 
0 Gott im Himmel! durch verruchte Hand 
Für mich gemordet, hist du hingeschieden! — 
0 nun versteh’ ich dich, mein Ferdinand, — 
Um mich zu schützen vor des Feind’s Geschosse — 
Weh! nun begreif ich wohl den Tausch der Rosse!“ — 
75. Auf den Grabhügeln der Landesvertheidiger zn Sendling 
Von Carl Ludwig Graul. 
1. Unter einer Trauereiche saß ich einsam und allein. 
Und gedankenvoll und düster sann ich in die Nacht hinein. 
In die Todtenstille rauschten ferne Wasser durch die Nacht; 
Horch! mich wecken nahe Tritte, mich umleuchtet selt'ne Pracht. 
2. Und Gestalten seh' ich schreiten, festen Schrittes feierlich, 
In des Hochlands Wehrumgürtung reihten um ein Grab sie sich. 
Einer nur in kühner Haltung stieg das hohe Grab hinauf, 
Und in ritterlicher Miene pflanzt er eine Fahne drauf; 
3. Und der Wind blies in die Fahne und sie wallte blau und weiß, 
Und die goldnen Löwen blitzten stattlich um den Wappenkreis. 
Drauf erhuben ernst die Männer einen heil'gen Siegeschor; 
Und der Held in blanker Rüstung schwang die Fahne stolz empor. 
4. Unsers Landes alte Fahne! starker Schaft, noch strebst du kühn, 
Und dein Mark treibt neue Zweige, junge Sprossen, frisch und grün; 
Altes Banner, deine Zeichen leuchten unter Gottes Schutz, 
Und dein Löwe, kampfesmnthig, blickt auf seine Feinde Trutz;
	        
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