Full text: Geschichte des preußischen Vaterlandes

Fürst Bismarck. 705 
Dieser Wunsch wurzele in der festen Ueberzeugung, daß eine unbefangene 
Würdigung der gegenseitigen Bedürfnisse nur die ersprießlichste und wohl¬ 
thätigste Wirkung auf beide Reiche äußern, sie in Frieden und in reger 
Mitarbeiterschaft an den Aufgaben der Gegenwart und Zukunft einigen 
werde. Der Kaiser von Oesterreich werde freien und hohen Sinnes die 
erhebenden Erinneruugeu, die seine Dynastie in der glanzvollen Geschichte 
von Jahrhunderten mit den Geschicken des deutschen Volkes verbanden, 
nicht anders auffassen, als mit der wärmsten Sympathie für die fernere 
Entwicklung dieses Volkes und mit dem rückhaltlosen Wunsche, daß es in 
den neuen Formen seines staatlichen Daseins die wahren Bürgschaften 
einer glücklichen, für seine eigene, wie für die Wohlfahrt des ihm in ge¬ 
schichtlicher Tradition, in Sprache, Sitte und Recht so vielfach verwandten 
Kaiserstaates gleich segensreichen Zukunft finden möge. — So war denn 
auch nach dieser Richtung ein weiterer wichtiger Schritt zur Befestigung 
der Machtstellung des neuen deutschen Reiches und seiner Friedenspolitik 
geschehen. 
Der erste deutsche Reichstag war inzwischen zum 21. März nach 
Berlin berufen worden. 
In der denkwürdigen Stunde, wo sich die Vertreter des neuen deutschen 
Reiches zum ersten Male um den Thron des deutschen Kaisers ver¬ 
sammelten, wurde der Bundeskanzler Graf von Bismarck von seinem 
Kaiser und König zum Fürsten erhoben. Mit der Wiedererstehung des 
deutschen Reiches wird der Name Bismarck in der That für alle Zeiten 
innig verknüpft sein; und in dem großen weltgeschichtlichen Akte, welcher 
mit der Eröffnung des deutschen Gesammtreichstags vollzogen wurde, durfte 
der neue Fürst-Reichskanzler mit tiefer Genugthuung die Frucht 
seines langjährigen politischen Denkens und Schaffens erblicken. Von dem 
ersten unscheinbaren Anfange seiner Thätigkeit bis zu dem glorreichen 
Frieden von Versailles, welcher zwei seit Jahrhunderten von Deutschland 
getrennte Provinzen in die nationale Gemeinschaft zurückführte, geht der¬ 
selbe Geist selbstbewußter Kraft uud klarer fester Entschlossenheit, dasselbe 
Streben einer wahrhaft deutschen Großmachtspolitik durch die ganze Reihe 
immer wichtigerer diplomatischer Thaten hindurch. Ihm war es zu danken, 
daß aus dem jüngsten Kriege nicht blos die Kraft des deutschen Volkes 
herrlich erprobt und bewährt hervorging, sondern ein neues Zeitalter der 
europäischen Politik damit seinen Anfang nahm. Der neue Fürst-Reichs¬ 
kanzler war eine der großen weltgeschichtlichen Persönlichkeiten geworden, deren 
Wirken weit hinausragt über den Bereich des Landes, dem sie angehören. 
Kaiser Wilhelm eröffnete den ersten Reichstag am 21. März 1871 
im Schlosse zu Berlin mit einer Thronrede, welche also begann: 
„Wenn Ich nach dem glorreichen aber schweren Kampfe, den Deutsch¬ 
land für seine Unabhängigkeit siegreich geführt hat, zum ersten Male den 
deutschen Reichstag um Mich versammelt sehe, so drängt es Mich vor Allem 
Meinem demüthigen Danke gegen Gott Ausdruck zu geben für die weltge¬ 
schichtlichen Erfolge, mit denen seine Gnade die treue Eintracht der deutschen 
Bundesgenossen, den Heldenmuth und die Mannszucht unserer Heere und 
die opferfreudige Hingebung des deutschen Volkes gesegnet hat. 
Hahn, preuh. Geschichte. 20. «ukl. 45
	        
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