Full text: Zweites Lesebuch für die Oberstufe (Teil 6, [Schülerband])

Ansichten vom Weltgebäude. 
161 
Thales, einer der sieben Weisen Griechenlands, lehrte zuerst die Kugel— 
gestalt des Himmels; er meinte, der Himmel umschließe die Erde wie die 
Eischale das Dotter; die untere Hälfte der hohlen Himmelskugel sei mit 
Wasser angefüllt, und auf demselben schwimme die runde Erdscheibe. 
Pythagoras und seine Schüler dachten sich die Erde als eine Kugel; 
sie sprachen schon von den Bewohnern der entgegengesetzten Seite derselben 
und sogar von einer Umdrehung der Erde um ihre Achse. Allein ihre Lehren 
fanden wenig Anklang und wurden sogar verspottet; man blieb bei der 
Meinung, die Erde sei eine Scheibe, und wenn man auch später endlich zu— 
gab, daß sie Kugelgestalt habe, so wollte man doch von der Bewegung der 
Erde um ihre Achse nichts wissen. 
In den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt fand die Meinung 
von der Kugelgestalt der Erde unter den Gelehrten immer mehr Anklang, 
obgleich die christlichen Astronomen sie nicht immer öffentlich behaupten 
durften. Vorzüglich war es Claudius Ptolemäus im zweiten Jahr— 
hundert nach Christi Geburt, der mit Festigkeit behauptete, daß die Erde 
eine Kugel sei. Er lehrte, daß sich um die Erde in sieben Bahnen Mond, 
Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn, alle von der Form 
einer Kugel, bewegten, in der achten Bahn aber wären die Fixsterne. Lange 
Zeit verging, ehe diese Meinung einer richtigeren weichen mußte. 
Erst Nikolaus Kopernikus, geboren zu Thorn 1473, fand, daß sich 
alle Bewegungen der Himmelskörper viel leichter verstehen lassen, wenn man 
annimmt, daß nicht die Erde, sondern die Sonne der Mittelpunkt ist, um 
welchen sich die Planeten und die Erde bewegen. Seine Erklärung erhielt 
ihm zu Ehren später den Namen des kopernikanischen Sonnenshstems. 
Später hielt Galilei (geboren 1564 zu Pisa in Italien) Vorlesungen 
über Naturlehre und Mathematik und erklärte sich bald öffentlich für das 
kopernikanische System. Allein man konnte diese Auffassung nicht in Ein— 
klang mit der Heiligen Schrift bringen, namentlich nicht mit der Stelle im 
Buche Josua 10, 12, wo es heißt: „Sonne, stehe still!“ Deshalb wurde 
er gefangen gesetzt und mußte im Jahre 1633 die Wahrheiten, die er von 
der Bewegung der Erde gelehrt hatte, knieend widerrufen. Zwar hatten ihn 
die Qualen des Gefängnisses sehr entkräftet; dennoch soll er mit verbissener 
Wut beim Aufstehen auf die Erde gestampft und dabei heimlich die Worte 
ausgesprochen haben: „Und sie bewegt sich doch!“ Er wurde hierauf zu 
Kerkerstrafe verurteilt, sein System verdammt und seine Schrift verboten. 
Aus Gnade wurde aber die Kerkerstrafe in eine leichte Haft verwandelt. 
Tycho de Brahe, ein Däne, der Astronom bei dem Kaiser Rudolf in 
Prag war und daselbst 1601 starb, suchte zwar das alte System, nach 
F. Hirts Deutsches Lesebuch. Ausa. B. VI. 
1
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.