Full text: Europa, die fremden Erdteile und die allgemeine Erd- und Himmelskunde (Bd. 2)

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rasenden Orkanen, welche die ganze Natur in Aufruhr versetzen, Bäume 
in die Tiefe schleudern, Felsstücke losreißen und Gebäude abdecken. 
Unruhig ziehen sich die Gemsen auf die Nordseite des Berges oder in 
tiefe Felsenkessel zurück. Kühe, Pferde und Ziegen suchen mit Miß- 
behagen nach frischer Luft, während der Föhn ihnen Rachen und 
Lungen austrocknet. Trotzdem wird der Föhn im Frühlinge mit Freuden 
begrüßt. Er bewirkt ungeheuere Eis- und Schneeschmelzungen. Er ist 
der rechte Frühlingsbote und richtet in 24 Stunden so viel aus wie 
die Sonne in 14 Tagen. Würde er nicht von Zeit zu Zeit wohltätige 
Wärme bringen und die neuen Schneeansätze wegfegen, so gäbe es in 
manchem Hochtale keinen Sommer und kein Leben, sondern wahrschein- 
lich nur stets wachsende Eisfelder. Der Föhn ist auch ein vorsichtiger 
Schneeschmelzer und schützt dadurch, daß er vermöge seiner Wärme 
eine lebhafte Verdunstung herbeiführt, die Niederung vor gefährlichen 
Überflutungen der Bergwasser. 
Wenn sich der Föhn erhebt aus seinen Schlünden, 
Löscht man die Feuer aus, die Schiffe suchen 
Eilends den Hasen, und der mächt'ge Geist 
Geht ohne Schaden spurlos vorüber. (Schiller.) 
g) Die Bewässerung. Die Alpen sind ein wichtiges Quell- 
gebiet. Am wasserreichsten sind die aus den Gletschern abfließenden 
Bäche. Durch neue Zuflüsse fortwährend verstärkt und mit einem 
lebensfrohen Jünglinge vergleichbar, tost und schäumt der Fluß zwischen 
hohen Felsen oder steilen, bewaldeten Abhängen in vielen Krümmungen 
zur Tiefe hinab. Dann gewinnt er mehr Raum. Wiesen legen sich 
an den Bergwald, und fruchtbare Felder begleiten den Fluß. Die 
Alpenflüsse sind dann besonders wasserreich, wenn Eis und Schnee in 
ihren Quellgebieten schmelzen. Im Frühling richten sie oft schreckliche 
Verheerungen an. Es ist unglaublich, wie viel Wasser dann zusammen- 
rauscht und wie hoch es steigt. Die breite Talfläche bildet einen 
gewaltigen Strom, der alles mit fortreißt und gewaltige Steine, Fels- 
stücke und Gerölle auf Wiefen und Felder treibt. Strahlenförmig 
senden die Alpen Flüsse nach den verschiedensten Gegenden und Strom- 
systemen. Die wichtigsten sind der Rhein, die Rhone und die Etsch, 
sowie zahlreiche Nebenflüsse dieser Gewässer und der Donau. Eine 
Hauptzierde der Alpen sind die vielen Seen, welche sowohl an dem 
Nord-, als auch an dem Südabhang derselben liegen. Sie sind die 
Sammelbehälter und Läuterungsbecken der Alpengewässer und gleichsam 
die Kehrmagazine der Alpen. Wild tobend stürzen sich die Alpenflüsse 
mit ihrem unklaren Wasser in die Seen, und in voller Jugendfrische, 
aber geläutert und in ihrem Laufe gemäßigt, fetzen sie nach dem Aus- 
tritt daraus ihren Weg fort. Allen Unrat von Schutt und Steinen, 
den sie aus den Schluchten der Berge mit fortgerissen, haben sie in 
die Tiefen der Seen versenkt. Durch hohe Berge sind sie gegen die 
rauhen Winde geschützt; darum haben sie schon in den ältesten Zeiten 
die Bewohner zu Niederlassungen angelockt. Die Seeufer sind häufig 
von Weinbergen, Obstgärten und Getreidefeldern umgeben. Die wich- 
tigsten dieser Seen auf schweizerischem Boden sind der Gensersee, der
	        
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