66
Die deutsche Kaiserzett 919-1260.
fortwährend zu. Die Gebiete der großen Vasallen wurden immer mehr zu
wirklichen Staaten; Fehden und Kriege zwischen den Reichsständen wurden
immer häufiger, und es fehlte der Richter, der schlichtend und strasend hätte
Verfall der einschreiten können. Auch die ä u ß e r e M a ch t.des Reiches nahm ab. Wo
MachteNllch jener Zeit das- deutsche Schwert gegen äußere Feinde sich kraftvoll erwies,
war es selten der König, der es führte. Die deutsche Hanse, der Bund
niederdeutscher Städte, machte dem deutschen Namen auch jetzt noch Ehre und
erwarb sich gerade in jenen Tagen des Verfalls der Königsmacht gewaltiges
Ansehen; der deutsche Ritterorden leistete Großes für das deutsche
Wesen; aber als die Städte und der Orden in Not kamen und von Fremden
bedrängt wurden, kamen ihnen Kaiser und Reich nicht zu Hilfe. Ober-
und Mittelitalien ferner, die seit Otto dem Großen für der Hoheit
des deutschen Königs Untertan gegolten hatten, gingen Deutschland ver-
loren. Ja, auch deutsche Lande lösten sich vom Reiche los: die
Schweiz z. B. wurde ein selbständiges Land. So brachte denn die Zeit
seit dem Interregnum eine zunehmende Auflösung des deutschen
Reiches.
§ 69. Volkswirtschaft. Ackerbau, Gewerbe und Handel. Während
aber das deutsche Staatswesen seinem Versall entgegenging, erblühte die
wtrt- deutsche Volkswirtschaft und wuchs der deutsche Wohlstand. Die Land-
Wirtschaft zunächst hatte große Fortschritte gemacht. Deutschland, vor
4_500 Jahren mit Ausnahme der Rheinlande größtenteils ein Waldland,
war jetzt ein Land blühender Fluren, das mit zahllosen Dörfern besetzt war.
Die Rheinebene von Basel bis Mainz war immer noch der am besten an-
gebaute Teil, der „Garten Germaniens"; aber auch in Sachsen und anderen
Gebieten des Reiches war der Urwald gelichtet, auf den Rodungen waren
Ansiedlungen entstanden, und die Bauern waren, wenn auch zumeist unfrei
und ihren Herren zur Zinszahlung verpflichtet, vielfach wohlhabende Leute.
Kolonisation. Ja, weit über die Elbe hinaus, die so lange die Grenze des deutschen Landes
gebildet hatte, wohnten deutsche Bauern, welche die Waldbäume gefällt und
den Boden urbar gemacht hatten. Brandenburg, Pommern,
Schlesien, Preußen und Teile Böhmens waren durch deutsche
Ritter, Mönche, Bürger und nicht am wenigsten durch deutsche Bauern dem
Deutschtum gewonnen worden; selbst in dem fernen Siebenbürgen entstanden
deutsche Ansiedlungen.
Gewerbe. Neben der Landwirtschaft erblühte das Gewerbe. Hmter den
Mauern der Städte war das Handwerk emporgeblüht, das, in viele
Zweige sich verteilend, die mannigfachsten Bedürfnisse befriedigte. Die