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Mittlere Geschichte
der Sünden. Unzählige Christen verkauften all ihr Eigen¬
thum nnd^stetlten sich, von allerlei Träumen getragen,
auf freien ?yiip Zum Abmarsche. Dieser sonderbare Schwin¬
del der Christenheit dauerte säst 200 Jahre lang fort
obgleich man Hunderttausende vom Zug nicht wieder¬
kehren sah.
Man gieng auch srisch an's Werk. Die ersten Schwär,
me waren freilich nur zusammengelaufenes Gesindel, das
schon in Bulgarien wegeu seiner Grausamkeit größtenteils
aufgerieben wurde. Deu eigentlichen ersten Kreuzzug
führte Gottfried vouBouillou au, ein edler, frommer
Held, der mit 90,000 Streitern über den Rhein uud
durch Deutschland zog, und weil er strenge Mannszucht
hielt, glücklich vor Koustautinopel ankam, wo ihn aber
der Kaiser argwöhnisch behandelte. In Kleinasien wuchs
das Heer mit den Resten der ersten Schwärme ans (100,000
au. Unter unsäglichen Mühseligkeiten, von Hunger und
Hitze gequält, von den Türken umwogt, vou den Griechen
mannigfach verrathe», zogeu sie durch Kleinasien, und er¬
kämpften nach achtmonatlicher Belagerung Antiochien.
Während sie hier unter sich zankten, schloß sie ein mäch¬
tiges Türkenheer ein ; die Huugersuoth erreichte den ent¬
setzlichsten Grad. Da gab ein Priester vor, der Apostel
Andreas habe ihm im Traum die heil. Lanze gezeigt,
mit der Christi Seite durchstochen worden; sie liege in
einer Kirche, die er bezeichnete, vergraben. Man grub
nach; und der Priester stieg wirklich mit der Lanze her¬
vor. Keine Feder kaun den Enthusiasmus schildern, deu
dieses Lügeustück unter den ausgehungerten Kreuzfahrern
erzeugte. Sie öffneten bald die Thore, wankten, Schatten
ähnlich, doch in guter Ordnung dein Feinde entgegen,
und erfochten einen vollständigen Sieg. Doch ein ganzes
Jahr lang hatten sie viel gii leide», ehe sie Jerusalem
erblickten. Namenlose Wonne ergriff sie endlich, als die
lang ersehnte Stadt vor ibren Blicken lag. Sie jauchzten
und weinten vor Freuden, warfen sich nieder und küßten
den Boden, und wären freilich gerne nur gleich eingezo-