Full text: Stoffe und Probleme des Geschichtsunterrichts in höheren Schulen

Kulturelle und politische Beziehungen zu anderen Völkern 161 
auch nicht immer selbst die höchste Vollendung erreicht hat. (Es ist das 
klassische Land des Feudalismus- der ritterliche (Ehrenkodex, das Tur¬ 
nierwesen, der ITtinnedienst und Minnesang, die Chansons de geste, 
die höfische Epik, die Scholastik, die Kreuzzugsbewegung, der Gottes¬ 
friede, die Klosterreform, die gotische Baukunst sind sämtlich französischen 
Ursprungs - die Deutschen sind bei alledem die (Empfänger1, zum Teil 
die Vollender gewesen,- aber die erste wirklich deutsche Kulturtat großen 
Stils war erst die Reformation (Troeltsch). Die deutsche Schule Hat 
keinen ctnlafz, diese Tatsachen zu verschleiern. Sie zeigen, daß wir das 
langsamere, Hoffentlich dafür auch das stetigere und dauerhaftere Kul¬ 
turvolk sind, wie vielseitig sich das Thema ausgestalten und verwer¬ 
ten laßt, bedarf wohl keiner näheren Ausführung. 
6. XDas uns Italien gab und nahm. Die mittelalterliche Kaiserpolitik 
in großzügigem Überblick dargestellt und auf ihre Berechtigung unter¬ 
sucht, ist noch immer ein lohnender Gegenstand des Nachdenkens. Die 
Frage, die einst Sqbel und Ficker in entgegengesetztem Sinne beantwor¬ 
teten, wirft jede Periode aufs neue auf; jede sucht eine tiefer dringende, 
treffendere Antwort zu formulieren als die vorausgehende. Wurde einst 
Ficker der Sieg zugebilligt, so scheint heute die lvagschale eher wieder zu¬ 
gunsten Sybels zu sinken. Die Untersuchung ist besonders geeignet, den 
Schüler in die Eigenart des historischen Denkens einzuführen, das jeden 
Vorgang aus feiner eigenen Seit heraus verstehen will, was ja ein vom 
Standpunkt der Nachwelt aus gefälltes Urteil über Nutzen oder Schaden 
nicht auszuschließen braucht, m. a. w., die kaiserliche Universalpolitik 
konnte für mittelalterliche Herrscher berechtigt, ja unvermeidlich, und 
kann dennoch im (Erfolg verhängnisvoll gewesen sein. 
7. Das Lehnswesen. Der unerfchöpfbare Gegenstand gehört zu den 
schwierigsten, mit denen sich der Unterricht befassen kann; eine wirklich 
eindringende Behandlung kann daher nur einem Lehrer, der über eine 
ganz besonders spezielle Sachkenntnis verfügt, und einer geistig sehr 
regen Klasse empfohlen werden. Die Gefahr, Rntiquitätentunbe zu trei- 
ben, liegt hier ebenso nahe wie bei gewissen Themen der alten Geschichte. 
8. Die Stände des Mittelalters. Rite Seiten dieses ungemein dank¬ 
baren Gegenstandes lassen sich natürlich nicht in gleicher Ausführlichkeit 
1 Die sprachlichen Nachweise in reichster Fülle wieder bei Seiler, Bd. I. 
mit unwissenschaftlicher Übertreibung und in chauvinistischer Verkennung des Eigen¬ 
werts des germanischen Faktors behandelt das dankbare Thema L. Retjnaub, 
Histoire generale de l’influence francaise en Allemagne (Paris 1914). 
Friedrich, Stoffe u. Probleme ' n
	        
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