Full text: Stoffe und Probleme des Geschichtsunterrichts in höheren Schulen

heimalgeschichte. — Massen und Melden 19 
Konnte das Recht der Kulturgeschichte, der Hationalgeschichte, der 
Heimatgeschichte unmittelbar aus der Zweckbestimmung des Ge¬ 
schichtsunterrichts abgeleitet werden, so ist die Frage, ob innerhalb 
dieser Gebiete vorzugsweise Geschichte der Massen oder Ge¬ 
schichte der Helden zu treiben sei, danach zu entscheiden, daß 
es gilt, „die in der Geschichte wirksamen Kräfte kennen und in 
ihrer Bedeutung für den einzelnen und die Gesamtheit richtig be¬ 
werten zu lernen" (vgl. oben S. 6, Punkt 3). Der 5atz „Männer machen 
die Geschichte" ist nur mit starken Einschränkungen richtig; und jedenfalls 
ist es ebenso wahr, daß Völker die Geschichte leben, weder eine rein 
kollektivistische noch eine rein singuläre Geschichtsauffassung entspricht 
den Tatsachen der (Erfahrung, sondern Massen und Helden sind beide von 
größter historischer Bedeutung und stehen in steter Wechselwirkung; je 
demokratischer das verfassungsleben eingerichtet ist, um so entscheiden¬ 
der werden die Massen durch ihre Abstimmung sogar für die Möglich¬ 
keiten der äußeren Politik. Jedenfalls ist Gegenstand der National¬ 
geschichte dieUationalsGanzes, nicht nur eine Rusroahl ihrer gro¬ 
ßen Männer; eine bloße Reihe heroischer Lebensbilder entspricht daher 
weder der geschichtlichen Wirklichkeit noch Öen Zwecken des Unterrichts. 
Gewisse Zweige, wie Wirtschafts- und Sozialgeschichte, müßten so gut 
wie ausscheiden, wenn man nur die großen Männer behandeln wollte. 
Gegenwartsverständnis kann sich nur auf dem Verständnis früherer Zu¬ 
stände aufbauen; staatsbürgerliche (Erziehung ist ja gewissermaßen Zu¬ 
standskunde, die Zustände aber werden von großen Männern nie ge¬ 
macht, sondern vorgefunden und bis zu einem gewissen Grade gestaltet, 
geordnet, organisiert. Zustände können überdies im Unterricht viel besser 
veranschaulicht werden als Taten und Ereignisse; sie begegnen deshalb 
bei Öen meisten Schülern auch einem lebhafteren Interesse, historische 
vergleiche endlich sind in bezug auf Zustände viel häufiger möglich als 
in bezug auf Vorgänge oder gar auf Charaktere. 
Freilich nur die Massen, als Träger der Zustände, gelten lassen zu 
wollen wäre so falsch wie einseitige heldenverehrung. 3n starker Ver¬ 
einfachung gesehen, ist vielmehr die Geschichte, besonders die innere Ge¬ 
schichte, nichts anderes als ein großer Kampf der Individuen und der 
sozialen Gemeinschaften, wobei das Feldgeschrei der ersteren „Freiheit 
und Mitwirkungsrecht" lautet, das der anderen „(Einordnung und Diszi¬ 
plin". Diesen ewigen, nie entschiedenen und nie zu entscheidenden Kampf 
der individualistischen und der sozialistischen Triebe in der Menschen- 
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