Full text: Vom großen Interregnum bis zur Reformation (Teil 2)

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er selbst aber, der berufene Schirmherr und Mehrer des Reichs, that 
nicht das geringste von Bedeutung, um dem Übel zu wehren. 
Unter solchen Verhältnissen vollzog sich eine Wandlung in Deutsch¬ 
land, die durch Jahrhunderte dauerte und das Vaterland bis in die 
neueste Zeit hinein räuberischen Nachbarn zur bequemen Beute und zum 
Tummelplätze ihrer wilden Kämpfe preisgab. Die Einheit des Reiches 
war zerrissen, Deutschland zerfiel in eine Reihe miteinander verbündeter 
Staaten, die sich gegenseitig mit Mißtrauen betrachteten. Die recht¬ 
lichen Formen dieses neuen Staatenbundes finden sich in drei Ur¬ 
kunden ausgesprochen: in der „goldenen Bulle" vom Jahre 1356, im 
westfälischen Frieden 1648 und in der „Wiener Bundesakte" vom 
8. Juni 1815. 
König oder Kaiser Karl IV. — diese Bezeichnungen werden seitg®^ng 
Rudolf v. Habsburg nebeneinander gebraucht, bis Maximilian I. beim S8uae- 
Antritt seiner Regierung den Titel Kaiser annahm, ohne die Krönung 
in Rom zu erwarten — versammelte die Stände des Reiches — geist¬ 
liche und weltliche Fürsten — im Jahre 1355 zu einem Reichstage in 
Nürnberg. Der theologisch gebildete und zugleich eitle und aber¬ 
gläubische Kaiser, dem es indes weder an staatsmännischer Begabung 
noch an Erfahrung fehlte, arbeitete hier mit den Ständen ein Gesetz 
aus, welches „für alle Zukunft" die Ordnung der deutschen Rechts¬ 
verhältnisse namentlich in betreff der Stellung der Fürsten in ihren 
Ländern und zum Reiche festsetzen sollte. Als sich bald nach der am 
10. Januar 1356 erfolgten Veröffentlichung der in dreiundzwanzig Ka¬ 
piteln ausgesprochenen Beschlüsse Widerspruch gegen einzelne Artikel erhob, 
so fügte man auf dem Reichstage in Metz in demselben Jahre noch sieben 
Kapitel hinzu. Das Gesetz, mit dem goldenen Siegel versehen, erhielt 
den Namen der goldenen Bulle; es wird auch wohl Carolina genannt. 
Die goldene Bulle behandelt zunächst die Kaiserwahl, spricht sodann 
von deu Vorrechten der Wahl- oder Kurfürsten uud schließt mit Be¬ 
stimmungen über den Landfrieden. Ein Teil der Verordnungen — 
die Verfügungen über das Ceremoniell (die bei Feierlichkeiten und fest¬ 
lichen Gelegenheiten zu beobachtenden Gebräuche), die Kleidung, die 
Rangverhältnisse u. dgl. rührt sehr wahrscheinlich von dem in dieser 
Beziehung äußerst sorgfältigen Kaiser selbst her. 
„Der Kurfürst von Mainz als Erzkanzler des Reiches muß binnen Wahl, 
einem Monate nach dem Tode des Kaisers die Kurfürsten berufen; 
versäumt er es, fo treten sie von selbst binnen den nächsten drei
	        
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