•tfit. 1. Säulenarchitektur.
37
83. Sog. Maison carree zu Nkmes.
die Kannelierung. Eine Neubildung ist das Kompositakapitell (86 u. 87). Es ist eine
unorganische Verquickung des korinthischen und des vierseitig umgeformten ionischen
Volutenkapitells. Durch Häufung der Zierformen, Einführung der Konsolen (87), Ver¬
kröpfung (89) wurden dem Gebälk neue malerische Wirkungen abgewonnen.
Der etruskisch-römische Tempel ist ursprünglich nicht das Haus des Gottes, sondern
ein erhöhter, nach den Vorschriften des Auguralwesens zur Beobachtung des Himmels
hergerichteter und orientierter Platz, ein templum im eigentlichen Sinne. Dieses „Podium"
mit vorgelegter Freitreppe ist dem römischen Tempel geblieben. Der Grundriß zeigt eine
tiefe Vorhalle (81; in 82 vermauert; 83), welche, wenn die (Telia wie bei dem Tempel
des kapitolinischen Jupiter in Rom dreischiffig ist, ebenfalls drei Schiffe aufweist. Die
Säulenstellung der Vorhalle setzt sich als Scheinhalle bisweilen an den beiden Längsseiten
und an der Hinterseite fort (82 und 83). Mit der Ausdehnung des Weltreiches wanderte
dieser sog. Podiumtempel auch in die Provinzen, nachdem er allerdings bereits in Rom
in griechische Formensprache übersetzt war. So der wohlerhaltene Tempel der kaiser¬
lichen Prinzen ffiaius und Lucius Cäsar (f 4 und 2 n. Chr.) zu Rtmes in (Ballict
Narbonensis (83).
Auch landschaftlich von großer Schönheit ist der hoch über dem tosenden Anio
thronende Rundtempel zu Tivoli. 18 korinthische Säulen umgaben die durch eine Tür
zugängliche und von zwei Fenstern erleuchtete Cella. Immerhin liegt das Hauptverdienst
der römischen Baukunst nicht in dem, was sie den Griechen entlehnt hat. Es liegt viel¬
mehr, technisch betrachtet, in der weitgehenden Anwendung des Rundbogens und der
Wölbung, ästhetisch in der Verbindung des Rundbogensystems
mit den griechischen Säulenordnungen.
Der Keilschnitt, auf welchem die Kunst des Wölbens be¬
ruht, ist zwar keineswegs eine Erfindung der Etrusker, aber
er wurde früh von ihnen geübt und den Römern über¬
mittelt ; türkischen Bauleuten verdankt Rom die großartige
Entwässerungsanlage der Cloaca maxima. Mit ihm trat neben
das alte vertikal-horizontale Säulensystem eine neue raum¬
öffnende Ordnung, bei welcher Stütze und Last in eins ver¬
schmelzen. Die die Wölbung bildenden Keilsteine werden viel¬
fach unter Verneinung der Fugen zu einer neuen (Einheit
zusammengefaßt, zu einem Architrao in Halbkreisform, dem 86' 3iomt[d)es Kompostta-
sog. Archivolt (87. 89). 6afnteIL
84. Rundtempel zu Tivoli. (Phot. Alinari)