Full text: Geschichten aus der Geschichte

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aus den Fugen, und wie in einem Gedränge derjenige, welcher die 
größte Stärke besitzt, in die vorderste Reihe gelangt, so erreichte 
Napoleon als der Klügste und Stärkste die Herrschaft über Frank¬ 
reich und leider auch über mehr und mehr Länder, die er eroberte. 
Napoleon war ein fast unvergleichlicher Feldherr und zugleich so 
schlau, daß er die meisten Staatsmänner zu überlisten wußte. 
Schon hatte er durch glänzende Siege sein Reich bedeutend er¬ 
weitert, da wollte er auch Preußen auf das Schlachtfeld locken und 
fügte ihm absichtlich mancherlei Beleidigungen zu, so daß der König 
trotz seiner Friedensliebe zum Schwerte greisen mußte. Er hoffte, 
daß die preußische Armee, die Schöpfung Friedrich des Großen, 
ihrer Vorfahren würdig den Sieg erfechten würde. Der Krieg be¬ 
gann 1806 im Oktober. Die Königin begleitete ihren Gemahl bis 
in die Nähe von Jena, wo die erste Schlacht geliefert wurde. Aber 
sie erfuhr uur um fo eher die Schreckensbotschaft, daß die Schlacht 
mit der vollständigsten Niederlage der Preußen geendet hatte. Die 
meisten Festungen ergaben sich dem Sieger fast ohne Widerstand. 
Es waren eben nicht mehr die Preußen, an deren Spitze Friedrich 
der Große gestanden. Napoleon drang immer tiefer in Preußen ein 
und das königliche Paar mußte sich vor ihm nach Königsberg flüchten. 
In Schwedt traf die Königin mit ihren Kindern zusammen. „Ihr 
seht mich in Thränen," rief sie aus, „ich beweine den Untergang 
der Armee! Sie hat den Erwartungen des Königs nicht entsprochen." 
Zu den beiden ältesten Söhnen sprach sie: „Ach, meine Söhne, ihr 
seid schon in dem Alter, wo euer Verstand diese schweren Heim¬ 
suchungen faffen kann. Aber begnügt euch nicht mit Thränen. 
Handelt, entwickelt eure Kräfte. Vielleicht läßt Preußens Schutzgeist 
sich auf euch nieder. Befreiet dann euer Volk von der Erniedrigung, 
worin es jetzt schmachtet." In Königsberg erkrankte sie an einem 
Nervenfieber, und als ihr Zustand sich zu bessern anfing, rückte die 
französische Armee gegen Königsberg an, und die Königin, so schwach 
sie auch war, beschloß in Memel, der nördlichsten Stadt Preußens, 
eine neue Zuflucht zu suchen. Sie sagte: „Ich will lieber in die 
Hände Gottes als dieser Menschen fallen." An einem trüben, 
feuchten Wintertage unternahm man es, sie in ihrem Wagen sitzend 
und in Betten eingehüllt über die öde Sandwüste der kurischeu 
Nehrung zn schaffen. Unter heftiger Kälte, Sturm und Schnee¬ 
gestöber brachte sie drei Tage und Nächte auf der Reife zu, aber 
wunderbar! die Krankheit begann nachzulassen und die Königin sah
	        
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