Folgerungen aus den Fortschritten der Geschichtswissenschaft.
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Diese Kenntnisse sind nämlich weit weniger Selbstzweck als
Mittel zum Zweck; sie sollen die Grundlagen und Stoffe liefern,
auf und an welchen die geistige und sittliche Erziehung der Schüler
sich bethätigt.
Zu II.
Die oben behandelte stoffliche Erweiterung der Geschichts¬
wissenschaft bewirkt natürlich auch eine dem entsprechende stoff¬
liche Erweiterung und Vertiefung des Geschichtsunterrichtes. Die
bisherige einseitige Betonung der politischen Verhältnisse, wobei
Kriege und Schlachten einen unverhältnismässig breiten Raum ein¬
nahmen, muss — aber ohne dass das Verständnis der politischen
Verhältnisse Schaden leiden darf — vorsichtig und nur mit Besei¬
tigung der nebensächlichen und unwesentlichen Dinge eingeschränkt
werden. Da diese Behauptung Widerspruch gefunden hat und finden
wird, so möge es gestattet sein, sie kurz zu begründen. Die Politik,
gleichviel ob friedliche oder gewaltsame —- denn der Krieg wird
von ClauSEWITZ nur als Fortsetzung der Politik mit gewaltsamen
Mitteln betrachtet —, ist ja weiter nichts als ein Mittel, um die
verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen
der Gesellschaftsklassen (innere Politik) oder die nationalen Inter¬
essen der Völker unter sich (äussere Politik) zu vertreten und zum
Ausgleiche zu bringen.*) Wie einseitig ist es nun, immer nur die
Art und Weise des Ausgleiches eingehend zu behandeln, das aber,
was zum Ausgleiche gebracht werden soll — was doch naturgemäfs
das weitaus wichtigste ist — oberflächlich oder gar nicht zu be¬
handeln !
Also nochmals: Kulturgeschichte statt Kriegsgeschichte!
Hier haben wir nun sogleich ein Beispiel dafür, dass Theorie
und Praxis gar häufig in Widerspruch geraten. So schön nämlich
der soeben aufgestellte Grundsatz, dass die Kriegsgeschichte der
Kulturgeschichte weichen muss, in der Theorie auch ist, so sehr
stöfst er doch in der Praxis auf Bedenken und Schwierigkeiten.
Es ist ja ein unumstößlicher pädagogischer Grundsatz, dass derjenige
Unterrichtsstoff, der dem Schüler menschlich näher gebracht werden,
*) Dabei kann man, um Einwänden vorzubeugen, die sogenannte Kabinets-
politik, d. h die nur der Willkür eines Einzelnen oder einiger Weniger, entspringende
Politik ausser acht lassen, da sie selbst in Gemeinwesen mit dem ausgesprochensten
Absolutismus doch nur dann dauernden Erfolg, d. h. dauernde Bedeutung hatte, wenn
sie mit den Interessen und Instinkten der grossen Massen zusammenfiel. Beispiele
können gelegentlich angeführt werden.