6
gedeiht nur Gerste. Die Gebirgsbäche überschwemmen zur
Regenzeit ihr Thal, trocknen aber im Sommer zu dürftigen
Rinnen ein, die Quellen versiegen, Wiesen und Anger ver¬
sengen, und der kalkige Boden reißt in der Hitze in Spalten auf.
In den enggefurchten Thälern des Westens war kein Raum für
Ackerland, und in der Osthälfte fehlt es an Wasser. Nur hier
und da helfen Seeen in den Thalkesseln diesem Mangel ab.
Griechenland zerfiel daher von Natur in kleine, rings von
Gebirgen umschlossene Thalbecken und Ländchen, die sich zum
Hirtenleben, hier und da auch zum Ackerbau eigneten. Diese
Abgeschlossenheit der Landschaften brachte es mit sich, daß die
Bevölkerung beim Herkommen blieb und sich um die Nachbarn
nicht kümmerte! Da die Küstenentwickelung aber sehr groß ist,
so trieb dies zur Seefahrt, zu Handel und Gewerbe an, denn
es gab überall Buchten und Häfen, und nicht weit entfernt
lagen das produktenreiche Vorderasien und Ägypten, nach Westen
das kauflustige Süditalien und Sicilien. Im Norden sperrten
hohe Gebirge und wilde Bergmassen das Bordringen, die Küste
im Westen war gradlinig, klippenreich und hafenarm, mithin
war der Osten allein zum Seeverkehr geeignet, den eine Reihe
von Inseln nach Kleinasien hinüber leitete.
Es giebt viele Gründe, zu vermuten, daß die Urgriechen
aus der Gegend des Oxus, Indus und Ganges auswanderten,
um das Schwarze Meer und an der Westseite der Balkanhalb¬
insel nach Süden zogen, weshalb sich zu Dodona, in der Nähe
des Adriatischen Meeres, ihr ältestes Heiligtum befand. Diese
Ureinwanderer hießen Pelasger, ein Viehzucht und Ackerbau
treibendes, friedliches Volk. Später wurden sie von kriege¬
rischen, Abenteuer liebenden Hellenen unterworfen, besiegt und
gingen nach und nach in diesen Volksstamm über, welcher die
poesiereichen Mythen der Pelasger weiter ausbildete und sie in
Kunst und Wissenschaft darstellte.