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nen Wänden zum Pleistosthale ab, und auf einem Terrassen¬
abschnitt dieser Felswände, 2000 Fuß über dem Flusse, lag
Delphi, von einer ernsten und feierlichen Gebirgsnatur um¬
geben.
Ans den steilen Felszacken über Delphi horsten Adler und
Geier, in den verwachsenen Waldschluchten Hausen Eber und
Wölfe. Etwas oberhalb der Terrasse von Delphi waren die
Felswände durch einen Spalt zerrissen, in welchem der kasta-
lische Bach entspringt, der auf der Terrasse von Delphi einen
Lorbeerhain tränkt und sich dann zum Pleiftos hinabstürzt.
Östlich vom kastalischen Bache öffnet sich auf der Terrasse von
Delphi in einer höhlenartigen Vertiefung ein schmaler Schlund,
aus welchem finstere Dämpfe emporsteigen. Hier soll der
Drachenbefieger Apollon an einem alten Lorbeerbäume, der
neben jenem Schlunde stand, geopfert und von dem Baume
sich selbst den Siegeskranz gebrochen haben.
Mit dieser Opferstätte des Apollon war seit Beginn des
9. Jahrhunderts eine Weissagung verbunden. Es lag nämlich
im Heiligtum zu Delphi ein kegelförmiger Stein, über welchen
die delphischen Priester bei den Sühnopfern das Blut der
Opfertiere herabfließen ließen. Wer das Orakel des Gottes
besorgen wollte, mußte zuvor an diesem Stein ein Opfer dar¬
bringen, denn dieser galt für den Nabel der Erde. Den Tem¬
pel sollen drei mythische Baumeister im 9. Jahrhundert erbaut
haben, und in der That ist die Überbauung des Erdschlundes
mit fünf großen Steinblöcken ein uraltes Bauwerk. Die Auf¬
sicht und Leitung dieses Heiligtums besorgten die „fünf Heiligen",
welche den ältesten Familien in Delphi angehörten und ihr Amt
zeitlebens verwalteten. Diese wählten die Jungfrau, welche
im Namen des Gottes sprechen sollte, aus einer delphischen
Familie, und unter ihnen standen auch die beiden Priester des
Tempels und einige Propheten.