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19. Auf dem Wege nach Indien.
(327 v. Chr.)
Als sich Alexander dem Indus näherte, eröffnete sich ihm
eine neue Welt, die seither den Völkern Europas verschlossen
blieb, auch wohl denen von Westasien, obschon einige kleine
indische Fürstentümer und Republiken am rechten Jndnsufer
den Perserkönig als Oberherrn anerkannten, sonst aber selbständig
nach ihrer Sitte und Regierungsweise lebten. Im Osten,
Norden und Westen umschlossen mächtige Alpengebirge, die
höchsten der damals bekannten Erde, das wunderreiche Land, in
welches sie ihre Riesenströme niedersandten und dasselbe all¬
jährlich zur Regenzeit überschwemmten. Lange, schluchtenartige
Pässe führten zu den einzelnen Landschaften, und auf steilen
Felsen standen als Wächter der Pässe Städte und Festen, um¬
geben von zwei- und dreifacher Mauer. Fünf mächtige Ströme
brachen aus dem Gebirge hervor, durchzogen in reißendem Laufe
die weiten Ebenen des wohlangebauten Flachlandes, welches sie
jährlich durch ihre Überschwemmung befruchteten, mündeten dann
nach und nach einer in den anderen, worauf der letzte als Ge¬
samtfluß des Fünfstromlandes Pendschab sich als mächtiger
Strom in den noch mächtigeren Indus ergötz, der an der West¬
grenze des Landes dem Meere zueilte. Das in diesem Strom¬
gebiete sehr kultivierte und gewerbtüchtige Volk hatte sich nach
altem Herkommen in Kasten, d. h. in erbliche Berufsstände ge¬
teilt, aus denen die Beteiligten nicht austreten durften, der
Sohn vielmehr beim Berufe des Vaters bleiben mußte.
Alexander fühlte sich getrieben, auch dieses wunderbare Land
mit seinen seltsamen Sitten und Bräuchen, eigentümlichen
Natur- und Kunsterzeugnissen zu erobern, wozu ihm die gegen-