Full text: Gott und Menschenleben, Natur und Jahreslauf (Theil 1, [Schülerband])

2208 
211 — 
2204 LDie Geschichte des alten Wolfs 
in sieben Fabeln. 
12 
Der böse Wolf var zu Jahren gekommen und fabßte den 
gleihenden Entschlub, mit den Schäfern auf einem gütlichen Fube 
zu leben. Er wmachte sich also auf und kam zu dem Sebäfer, 
dessen Hürden seiner Höhle am nächsten varen 
„Schäfer,“ sprach er, du nennst mieh den blutgierigen Räuber, 
der ich doch wirklich niebt bin. EPreilich mub ieb mich an deine 
Schafe halten, venn mieh hungert; denn Hunger thut veh. Schütze 
mich vur vor dem Hunger, mache mich nur satt, und du sollst 
mit mir reeht wobl zufrieéden sein. Denn ieh bin virklieh das 
zahmste, sanftmüthigste LThier, wenn ich satt bin.“ 
„Menn du satt bist? Das kann wobl sein!“ versetzte der 
Schäfer. Aber wann bist du denn satt? Du und der Geiz verden 
es nie Geb' deines Meges!“ 
2. 
Der abgewieseneé Wolf kam zu einem zweiten Schäfer. „Du 
weiht, Schafer,“ war seine Anrede, „daß ieh dir das Jahr durcb 
manches Schaf würgen könnte. Willst du wir überbaupt jedes 
Jahr sechs Schafe geben, so bin ieh zufrieden. Du äkannst alsdann 
sicher schlafen und die Hunde ohne Bedenken abschaffen.“ 
„Sechs Schafe?“ sprach der Schäfer. „Das ist ja eine ganze 
Heerde! 
„Nun, veil du es bist, so vill ich mich mit fünfen begnügen,“ 
sagte der Woll. 
Du scherzest; füntf sSchafe! Mehr als fünf Schafe opfere ich 
Kkaum im ganzen Jahre unserm Gotte Pan.“ 
„Auch niebt vier?“ fragte der Wolf weiter. Der Schäfer 
schuttelte spöttiseh den Kopf. 
Drei? — 2weir 
„Nebt ein einziges!“ fiel endlich der Bescheid. „Denn es 
ware ja wohl thörieht, venn ieh mieh einem Feinde Ansbar machte, 
vor welchem ieb mieh dureh meine Wachsamkeit sichern äLann.“ 
2. 
Aller guten Dinge sind drei, dachte der Wolt, und kam zu 
einem dritten Schüfer 
Es geht mir recht nahe, dab ieh unter euch Schäfern als 
das grausamste, gewissenloseste Lhier verschrie'n bin. Dir vill ich 
jetzt beweisen, vie unrecht man mir thut. Gieb mür jahrlch ein 
Schaf, so soll deine Heerde in jenem Walde, den Niemand unsicher 
macht, als ieb, frei und unbesehädigt veiden dürfen. Ein schat, 
welehe Rleinigkeitl! Könnte ieh grobmüthiger, könnte ich uneigen- 
nutziger bhandeln? — Du lachst, Sebäfer? VWorüber lachst du denn?“ 
50, über nichts! Aber wie alt bist du, guter Freund?“ fragte 
der Schasfer.
	        
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