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32. Der Rhein.
Weinreben zieren die sonst kahlen Felsenabhänge. Burgruinen in so
großer Menge, wie sonst an keinem andern deutschen Flusse, schauen ernst von
den Höhen, welche hie und da bewaldet sind.
Am rechten Rheinufer im Nassauischen liegt das Städtchen Caub. Hier
ging der alte Blücher in der Neujahrsnacht 1814 über den Rhein, nachdem
Napoleon in der Schlacht bei Leipzig 1813 geschlagen worden war. Weiter
stromabwärts engen sich die Ufer noch mehr ein, der Fluß wird schmaler, und
schroff thürmen sich die Felsen am Ufer in die Höhe. Da kommt uns plötz⸗
lich der Loreleifelsen zu Gesicht. Dieser setzt sich dem Strome wie ein
maͤchtiger Damm entgegen, so daß letzterer sich wirbelnd und schäumend bricht
und einen Strudel bildet, der den Schiffern bisweilen gefährlich wird. Die
Sage erzählt, daß dieser Felsen von einer wunderbaren Fee bewohnt sei, die
so bezaubernde Lieder singe, daß die Schiffer, davon ganz hingenommen, auf
den Strudel nicht Acht haben, der ihr Boot erfaßt und sie in den Fluthen
begräbt.
w*Lorelei.
1. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig hin? Ein Märchen
aus alken Zeilen, das kommt mir nicht aus dem Sinn. Die Luft ist kühl, und es
dunkelt, und ruhig fließt der Khein; der Gipfel des Berges funkelt im Abend-
sonnenschein.
Q. Die schönste Jungfrau sihet dork oben wunderbar, ihr goldnes Geschmeide
blißet, sie kämmet ihr goldenes Haar. Sie kämmt es mit goldenem Kamme und
fiungt ein Lied dabei, das hat eine wundersame, gewaltige Melodei.
3. Den Schiffer im kleinen Schiffe ergreift s mit wildem Weh; er schaut nicht
die Selsenriffe, er schaut nur hinauf in die höh'. Ich glanbe, die Wellen ver-
schlingen am Ende Schiffer und Kahn; das hat mit ihrem Singen die Lorelei
gelhan. Heine.
Da, wo die Lahn in den Rhein mündet, erhebt sich wahrhaft königlich
und stolz auf einem Bergkegel die Burg Stolzenfels mit ihren Zinnen und
Thürmen. Friedrich Wilhelm IV. hat die bereits verfallenen Mauern und
Gemächer stattlich wieder herstellen lassen.
3. Von Coblenz bis Cöln. Coblenz hat eine prachtvolle Lage
am Zusammenflusse der Mosel mit dem Rheine. Gegenüber erhebt sich die
Feste Ehrenbreitstein, welche mit ihren gewaltigen Mauern auf einem
sleilen Felsen liegt. Ein Stück stromabwärts beginnt wieder eine der an⸗
muthigsten Gegenden des Rheines, nämlich das Siebengebirge. Wie Kegel
erheben sich die Bergkuppen dicht neben einander am östlichen Ufer. Aus der
Ferne sieht man ihrer sieben; daher rührt auch der Name, obgleich ihre Zahl
sieben übersteigt.
Nun tkritt der Rhein für immer aus den Bergen heraus. Er nimmt
von hier an seinen Lauf durch eine weite Ebene, die immer flacher und gleich—
förmiger wird. Zunächst fließt er an dem freundlichen Bonn mit seinen
Landhäusern vorüber. Reiche Getreidefelder und Obstalleen dehnen sich zu
beiden Seiten bis nach Cöln hin aus.