§ 2. Zustände bei den alten Germanen. 5
der Hausvater der Familie gegenüber eine unumschränkte Gewalt. Alle
Hausgenossen standen unter seiner Gewalt und seinem Schutz, der Munt*);
er nahm — eine Ausnahme machten gewöhnlich nur wohlhabende Adlige
— nur ein Weib, das in früherer Zeit durch Raub, später durch Kauf er-
worben wurde2). In schwerer Bedrängnis, z. B. bei Verschuldung, durfte
er Weib und Kind verkaufen, die Gattin bei nachgewiesenem Ehebruche sogar
töten. Aus der väterlichen Munt entlassen wurde der Sohn, wenn er in
ein Gefolge eintrat oder einen eignen Hausstand gründete, die Tochter,
wenn sie heiratete.
2. Das Rechtswesen. Die Keimzelle des germanischen Rechtslebens ist
die Sippe. Zwischen den Blutsverwandten besteht der Zustand gegenseitiger
Unverletzlichkeit, des Friedens; „Frieden" ist geradezu gleich „Recht". Jedes
Vergehen ist ein Friedensbruch; erfolgt er zwischen einzelnen, so ist
die Rechtsfolge die Fehde, d. h. der „Haß", an dem die ganze Sippe des
Geschädigten, ohne überhaupt die Schuldfrage aufzuwerfen, teilnimmt und
dem, wenn es sich um einen Mord handelt, nur durch den Tod des Mörders
oder des besten Mannes ans seiner Sippe Genüge geschieht; denn nur so,
glaubte man, finde die Seele des Ermordeten Ruhe. Doch konnte an Stelle
dieser Sühne das Wergelt (= „Opfer für den Mann") treten. Die Buße
war bei geringeren Vergehen die Regel, sie wurde in „Viehhäuptern" ge-
leistet, wobei die Kuh die Werteinheit bildete. Später stand es dem Verletzten
nicht mehr frei, zwischen Fehde und Buße zu wählen, sondern er konnte nur
die letztere verlangen. Nur wenn der Geschädigte darauf antrug, zog der
Staat, in diesem Falle das Gau g er ich t, die Angelegenheit vor seine
Schranken, doch nur um die Schuld festzustellen und die Höhe der Buße
abzumessen. Die Eintreibung war wiederum Sache des Klägers und seiner
Sippe. Wer sich der Zahlung der Buße entzog oder beim Eintreiben fort-
gesetzt Widerstand leistete, verfiel der Fried losig keit. Er war damit aus
Sippe und Volk gestoßen, sein Haus wurde niedergebrannt, seine fahrende
Habe vom Staate eingezogen; wer ihn traf, sollte ihn töten. — Nur wenn
das Vergehen ein Bruch des Friedens war, der das gesamte Volk ver-
bindet, ahndete die Volks gemein de als Wächterin der Rechtsordnung
deren Verletzung. Entsprechend dem Zwecke des Staates handelte es sich
dann um militärische Vergehungen, wie Feigheit und Verrat, Überläuferei
und „Harisliz". Die Strafen waren Friedlosigkeit oder Tod; der letztere
wurde von der Hand des Priesters vollzogen.
3. Das Heerwesen. Alle wehrhaften Männer der Volksgemeinde bildeten
zugleich den Heerbann: „Volk" und „Heer" war gleichbedeutend. Der Gau-
vorstand führte seine „Hundertschaft" ins Feld, die, nach Sippen und
Familien aufgestellt, eine keilförmige Einheit bildete. Die oberste Leitung
hatte, wo es keinen König gab, der für den betreffenden König gewählte
Herzog. — Das Heer war bei den Ostgermanen, soweit sie noch nomadisch
1) Unter ihr stand auch der Gast, für dessen Verhalten der Gastgeber verant-
wortlich war. Aus diesem Grunde begleitete er ihn bis zum nächsten Hause.
2) Die „Braut" ging durch Zahlung eines Kaufgeldes an den Bater oder
Vormund in die „Munt" des Mannes über und wurde durch den Ring an ihn ge-
fesselt.