Full text: Aus der deutschen Geschichte bis zum Ausgange des Mittelalters (Teil 1)

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eine christliche Märtyrin, die man zur Opferung hinführte vor jenen Riefen^ 
[ohn. Aber, ob auch sie wohl im stillen erbebte unter der Mühsal des 
Leibes und der Marter der Seele, beuchte ihr doch der Anblick ihres 
Mannes mit einem Male noch viel schrecklicher. Denn wie bie Nacht 
niedersank unb das letzte, kalte Rot der untergehenden Sonne über dem 
Schnee der Bäume blutfarben verglühte, breitete sich über die harten Züge 
des Mannes ein gar furchtbarer Ausdruck. (Es war, als gehe ein ge¬ 
waltiger Kampf durch seine Seele. Unstet rollte das wilde Rüge, die Lippen 
zuckten so heftig, datz er sie fest zusammenbeißen mußte, und, gleich als 
wolle er den Feind, mit dem er inwendig rang, auch mit dem Hrme nieder¬ 
schlagen, fuhr mehr denn einmal die Hand nach dem (Briff des Schwertes. 
Weiß besäumt vom Reif, erhöhten Bart und Haupthaar die schrecken¬ 
volle Würde des Antlitzes, und im Doppellicht des verlöschenden Abendrotes 
und der glühend hinter den Bergen aufsteigenden Mondesscheibe erschien 
der Mann wie ein altheidnischer Priester, der, mit dem Zorn der Götter 
ringend, sich rüstet, das Sühnopfer hier im Allerheiligsten der Wildnis 
zu bereiten. 
So waren die Wanderer zu einer Anhöhe gekommen, wo schwarze 
Basaltpfeiler aus der Schneedecke aufragten. Unter einem vorhängenden 
Felsen, den die Pfeiler im (Emporsteigen wie ein Dach über sich gehoben 
hatten, fanden die (Ermatteten Schutz vor dem Winde, ein schneefreies 
Plätzchen und dürres Reisholz genug, das bald zu einem lustigen Feuer 
aufloderte. Sie beschlossen, hier Nachtlager zu halten, aber der Hunger 
nagte, daß an keinen Schlummer zu denken war; auch das Kind wimmerte 
immer häufiger und kläglicher. 
Dem Manne ließ es keine Ruhe, zu sitzen oder zu liegen; er konnte 
nur, an die Felspfeiler gelehnt, stehend in das Spiel der Flamme starren 
oder mit verschränkten Armen auf- und niedergehen. Don den züngeln¬ 
den (Bluten wandte er den Blick in die Höhe zu dem kalten Sternen¬ 
licht des Winterhimmels und sprach zum Weibe: „Die Riesen und Helden 
der Vorzeit leuchten da droben als Gestirne. Sonst blickten sie uns gnädig 
an. Schau, wie sie jetzt so kalten Auges auf uns niedersehen, gleich 
dem Riesen Winter selber mit dem kalten Herzen in der Brust! Dom 
Himmel stiegen die Götter hilfreich zur (Erde, als unsere Däter noch Glauben 
und Opfer für sie hatten. (Eure Priester haben die alten Götter aus 
unserer Brust vertrieben, und die Götter haben nun den Himmel für 
sich behalten, und den Menschen blieb das Elend." Das Weib erwiderte 
zitternd und demütig, aber voll gläubigen Vertrauens: „Nur ein Gott 
ist zur (Erde niedergestiegen und hat als Mensch mitgelitten für die Men¬ 
schen. Da ward die (Erde so ganz des Gottes voll, daß fürder kein Gott 
mehr niederzusteigen braucht." 
Der Mann verstummte. Ganz nahe hörte man das Geheul hungriger 
Wölfe. Dem schwachen Weibe ward es nicht angst bei diesem Nachtgesang; 
doch als sie wieder aufblickte in -as (Besicht ihres Mannes, da ward 
es ihr angst, denn sein Auge war wilder als das Auge eines Wolfes. 
Und der Mann begann aufs neue: ,,Wo unsere Däter in Unglück 
verstrickt lagen, da gedachten sie ihrer Schuld und rüsteten Sühnopfer. 
Je schwerer Schuld und Not, um so teurer mußte die Gabe sein, die 
zur Sühne dargebracht wurde. Haben uns die Sänger nicht gesagt — 
heimlich, daß es die Mönche nicht hörten — von dem guten, nordischen 
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