Full text: Aus der deutschen Geschichte bis zum Ausgange des Mittelalters (Teil 1)

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Die von Zankt Gallen stimmten den frommen Schlachtgesang Media vita* 
an Notker der Stammler war dereinst durch die Schluchten beim heimi¬ 
schen Martistobel gestiegen, sie wölbten einen Brückenbogen herüber, über 
schwindelnder Tiefe schwebten die Bauleute; da stand es als Bild vor seiner 
Seele wie zu unserem Leben jeden Augenblickes des Todes Elbgrund auf¬ 
gähnt, und er dichtete das Lied. Zetzt galt’s als Zaubersang. Schirm eigenen 
Lebens, Untergang dem Feinde. 
Dumpf klang's von den anrückenden Männern in die Hunnenschlacht: 
„Rch, unser Leben ist nur halbes Leben! 
Des Todes Boten ständig uns umschweben. 
Wen mögen wir als Helfer uns erflehen 
als dich, o Herr! den Richter der vergehen? 
heiliger Gott!" 
Und vom andern Flügel sangen die Reichenauer Mönche entgegen: 
„Dein harrten unsre Väter schon mit Sehnen, 
und du erlöstest sie von ihren Tränen. 
Zu dir hinauf erging ihr Schrein und Rufen, 
du warfst sie nicht von deines Thrones Stufen, 
starker (Bott !" „ 
Und von rechts und von links klang's zusammen — schon tönten Schwert¬ 
hieb und dumpfer Fall (Betroffener dazwischen —: 
„verlaß uns nicht, wenn Unkraft uns befallen, 
wenn unser Mut entfleucht, sei Stab uns allen; 
o gib uns nicht dem bittern Tod zum Raube, 
barmherziger Gott, du unser Hort und Glaube! 
heiliger Gott, heiliger, starker Gott! 
heiliger, barmherziger (Bott, erbarme dich unser!" 
So standen sie im handgemeng'. Staunig hatten die Hunnen die 
herannahenden, dunkeln Scharen erschaut; Geheul und der zischende, 
teuflische Ruf: „hui! hui!" war ihre Rntwort auf das Media vita. Huch 
Ellak teilte feine Reiter zum Rngriff, und ringsum tobte der Kampf. 
Dreingespornte Rosse durchbrachen das schwache Häuflein derer von Sankt 
(Ballen; grimmes, einzelnes Streiten begann. (Es rang die Kraft mit der 
Schnelle, germanische Ungelenkheit mit hunnischer List. 
Da trank die hegauer (Erbe manch frommen Mannes Blut. Tulilo 
der Starke lag erschlagen; er hatte eines Hunnen Roß unterlaufen^ den 
Reiter an den Füßen heruntergerissen und schwang den Krummgesichtigen 
durch die Lüfte, ihm das Haupt an einem Feldstein zerschmetternd; aber 
ein Pfeil flog ihm durch die Schläfe, wie Siegesgesang himmlischer Heer¬ 
scharen ertönte es durchs wunde Gehirn, dann sank er auf den erschlagenen 
Feind. Sindolt der Böse sühnte mit der Wunde auf der Brust manch 
schlimme Tücke, die er sonst an den Gefährten geübt; nichts frommte es 
dem Schotten Dubslan, daß er sich dem heiligen Mimvaloius oergelubdet, 
barfuß gen Rom zu wallfahren, wenn er ihn heut beschütze, — durch¬ 
schossen trugen sie ihn aus idem Getümmel. 
Beim Heerbann im Mitteltreffen focht Herr Spazzo, der Kämmerer, 
als Führer einer Rotte. Das langsame vorrücken hatte ihm behagt; wie 
i) Lateinischer Nirckengesang, nach welchem Martin Luther das Kirchenlied „Mitten 
wir im Leben jinb“ gedichtet hat.
	        
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