Full text: Bilder aus den Landschaften des Mittelrheins (Bd. 4)

Die Bahnbrücke über den Rhein. 15 
Wucher und Noth den armen Mann drückten und Mancher guten Muthes zur 
Räuberfahne schwor, um sich unter dieser mit Wuth zu rächen an den ihm verhaßten 
Juden und Reichen. Tief bedauerte damals das Volk an der Nahe und auf 
dem Hundsrück seinen Helden, der die Schinder und Würger der Armuth über 
die Kliuge springen ließ und des Armen schonte oder gar ihm beisprang; und 
noch meldet mauche Mär und manche Sage von seinen kühnen Streichen und 
denen eiues schwarzen Peter und eines Leyendecker's, eines Zigeunerhannes und 
eines Schulmeisters von Oberhausen. Vorüber sind die Bilder, welche der 
Traumgott auf unsere Lider gezaubert hat, der helle, freundliche Tag fordert 
sein Recht; hinab wieder in die menschenwimmelnde Stadt! 
Wir schreiten hinab durch schattigen Wald und buute Blumenpracht nud 
stehen bald vor den Pfeilern der riesigen Gitterbrücke, welche Mainz mit Frankfurt 
durch eiserne Schienen bindet. Der ganze Hochbau hat eine Länge von 1290 m, 
die Strombrücke 424 m; in vier Abtheilungen wölbt sich das Gitterwerk der 
Fischbauchträger, gestützt von drei massigen Strompfeilern. Das Wunderwerk 
ging 1862 aus der Maschinenfabrik von Klett & Co. zu Nürnberg hervor uud 
ist konstruirt nach den Plänen des Baurathes Kramer. Täglich vermitteln 
22 Züge den Verkehr zwischen beiden Nachbarstädten, dem alten Mainz uud der 
srisch aufblühenden Rivalin Frankfurt, welcher der Druck der Bischöfe den der 
Rheinstadt Mainz eutwuudenen Merkurstab in die gewandte Hand gegeben hat. 
Zwölf Eilzüge führen die Fremden über des Rheines blaue, stolzblickende Flut 
nach dem Westen, nach Metz, Trier und Paris, und nach dem Osten ins Main- 
land uud in die Gaue an der Weser uud Elbe, nach Kassel, Magdeburg und 
nach Berlin. Von Südosten her blickten auf die Mainmündung das hochragende 
Bollwerk der Weißenau uud von drüben die niederen Wälle des Vorwerkes 
Kastel, einer eigenen Stadt mit 5000 Einwohnern, den Namen vom Römer¬ 
volk tragend, das unter Drusus als Brückenkopf ins Land der Germanen dort 
nördlich von der Mainmündung das mauergewaltige castellum Mattiacomm 
anlegte. Die Züge rasseln neben uns nach Nord und Süd, einerseits Bingen, 
Koblenz und Köln zu, andererseits nach Ludwigshafen und Straßburg. Wir 
nähern uns der Schiffbrücke, die zur Zeit noch Kastel und Mainz, das rechte 
und linke Stromufer, verbindet. Am Rheinkai entlang gelangen wir an mehreren 
Thoren vorüber, welche, aus prächtigen Buckelquaderu erbaut, am Portal reiche 
kriegerische Embleme tragen; es sind die zwei eisernen Thore und das rotheThor. 
Auf 59 Pontons führt die Schiffbrücke in einer Länge von 515 m von einem 
Ufer zum andern. Vom frühen Morgen an wogt auf ihr der Verkehr: Spazier- 
gänger und Arbeiter, Karossen und Lastwagen bewegen sich darauf. Da schleppeu 
tüchtige Rosse weinbeladene Fuhren vom Rheingau hinüber, und da geht eiu 
Transport nobler Möbel nach Wiesbaden und den Taunusbädern. Was haben 
die Wellen des Stromes hier zwischen Kastel und Mainz nicht Alles gesehen 
und erlebt! Zuerst der Vaugionen kecke Schar, die, ohne den Gallier am rechten 
User lange zu fragen, auf ihren Einbänmen mit Steinbeil und Knochenlanze vom 
jenseitigen Ufer herkamen und auf der Höhe ihre leichteu Hütten aufschlugen, dann 
den Ringwall aus losen Steinen in kunstloser Weise thürmten zum Schutze gegen 
Menschen und wilde Thiere, und hier an günstiger Stelle der Jagd lebten und 
auf Beute ausgingen. Die Stämme der milderen Mediomatriker und Trevirer 
zogen sich vor den wilden Gesellen, den trotzigen Bärenhäutern, zurück in des
	        
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