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Es gilt eine Anklage des Gaugrafen über einen freien
Sachsen abzutun.
Mit dem weißen Stabe gebietet der Sendgraf Ruhe
(bannt den Gerichtsfrieden); alles lauscht. Der Gau¬
graf erhebt sich: „Ich klage gegen einen freien Sachsen,
der das Heer verlassen hat“. Nun fordert der Richter
den Angeklagten auf, sich zu verteidigen. Der beginnt:
„Ich bin ein armer Mann und habe 2 Hufen Land,
habe aber für die Heeresfahrt meinen Nachbar unter¬
stützt. Aber der Gaugraf zwang mich, auch mitzuziehen,
weil er mir nicht gewogen ist. Weil das aber gegen
den Willen Kaiser Karls ist, kehrte ich zurück."
„Jenes habe ich nicht gewußt; darum zwang ich
ihn“, sagte hierauf der Graf, „doch ihn wollte ich nicht
schädigen.“
„Er mag seine Unschuld durch den Reinigungseid
bezeugen“, sagt der Richter. Mit 6 Eideshelfern be¬
schwört der Angeklagte seine Aussage nach den Worten
des Erzbischofs, indem er kniet und 2 Finger der rechten
Hand auf ein dargehaltenes Kruzifix legt.
Einzeln nach der Reihe sprechen jetzt die Schöffen
ihr „schuldig“ oder „unschuldig“ aus; da die meisten ihn
für unschuldig erachten, darf der Angeklagte frei gehen.
Da die Sonne untergehen will, ist das Gericht be¬
endet. Die freien Männer gehen nach Hause, und die
Königsboten bleiben beim Gaugrafen und ziehen am
ändern Tage weiter; endlich kehren sie zur Rechenschaft
zurück an Karls Hof.