Full text: Die Helden Griechenlands im Krieg und Frieden (Bd. 1)

64 Zweites Buch. 
nie gewagt haben, die drakonischen Gesetze in ihrem ganzen Um¬ 
fange zur Anwendung zu bringen. 
Diese innere Zwietracht zwischen Adel und Volk barg in 
ihrem Schooße große Gefahren. In den Nachbarstädten, zu Me- 
gara und Korinth, in Sikyon und Epidauros waren durch ähn¬ 
liche Verhältnisse Tyrannenherrschaften erstanden, die Macht des 
sich regenden Bürgerthums, geführt von einzelnen thatkräftigen 
Männern, hatte die drückende Adelsherrschaft gestürzt und ihre 
Führer an die Spitze des Staates gebracht. Warum sollte in 
Attika nicht Aehnliches versucht werden? Kylon, ein angesehener 
junger Mann aus einer attischen Adelsfamilie, Schwiegersohn des 
Theagenes, des Tyrannen in Megara, der in dem Stadium von 
Olympia einen Sieg errungen und sich zu großen Dingen be¬ 
stimmt glaubte, kam auf den Gedanken, die wirren Verhältnisse 
seines Vaterlandes zu benutzen und sich zu Athen eine Tyrannis 
zu gründen. Sein Schwiegervater versprach ihm eine bewaffnete 
Hülssschaar, und indem er zu Athen im Geheimen die Erleichte¬ 
rung der Schuldverhältnisse und eine Ackervertheiluug versprach, 
warb er sich unter dem Volke einen entschlossenen Anhang. Das 
delphische Orakel hatte ihm den Sieg versprochen, wenn er an 
dem großen Zeusfeste seinen Anschlag ausführte. Kylon dachte 
nicht anders, als daß das große Zeussest das des olympischen 
Zens sei, an welchem er so großen Ruhm sich erworben, und be¬ 
schloß, die Zeit der olympischen Festfeier zur Ausführung seines 
Planes zu benutzen, um so eher, da er an diesem Tage, wo die 
Sitte ihm erlaubte zum Andenken an feinen olympischen Sieg 
mit seinen Freunden die Straßen der Stadt festlich zu durchziehen, 
ohne Verdacht seine Parteigenossen zahlreich um sich versammeln 
konnte. Ohne daß die Athener es ahnten, besetzte er plötzlich die 
Burg (612). Aber das Fest des olympischen Zeus, das auch die 
Athener in ihren Manern feierten, hatte vieles Volk von dem 
Lande in die Stadt gezogen; erzürnt über die frevelhafte Unter¬ 
brechung des heiligen Festes, folgten sie bereitwillig der Auf¬ 
forderung der Obrigkeit, iu Gemeinschaft mit den Bürgern die
	        
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