42 Zeitalter der französischen Revolution und Napoleons I.
kam zugleich in den Besitz der Festung Wesel, welche der jetzigen
preußischen Landesgrenze nur zu nahe war. Sein Schwager
Joachim Murat wurde Herzog in dem alten Stammlande des
königlichen Hauses. Niemand konnte sich verhehlen, daß unser
Staat, der von Osten nach Westen so lang gestreckt war, in eine
sehr bedenkliche Lage gekommen war. Unsere Trauer wurde ge¬
steigert durch den Übermut, womit der neugeschaffene Herzog bis
nach Münster übergriff. Neue finstre Wolken stiegen aus/ Briese
aus Berlin atmeten sämtlich Krieg gegen Napoleon; Blücher ver¬
ließ uiis; wir sahen der unvermeidlichen Decupntion entgegen. —
Dennoch blickten wir 2tltpreußen,_ auf die Tapferkeit des Heeres
vertrauend, hoffnungsvoll nach Osten und sahen mit ungeduldiger
Erwartung einer Siegesnachricht entgegen. Und sie kam — als
Napoleon schon auf seinem Siegeszuge nach Berlin war, und sie
trug so sehr das Gepräge der Wahrhaftigkeit, daß Präsident von
Vincke die Bekanntmachung durch den Druck verfügte. Es war
ein Jubel ohnegleichen; jeder eilte zum andern, um zuerst die frohe
Nachricht zu überbringen. Aber die tiefste Niedergeschlagenheit
folgte; der Kelch, den wir jetzt ausleeren mußten, wurde nach dem
Taumel der Freude um so bitterer. Wenige Tage darauf erhielten
wir durch Flüchtlinge nur zu gewisse Nachricht vorn Verluste der
Schlacht von Jena. Dennoch erholten wir uns von der ersten Be¬
täubung und gaben nicht alle Hoffnung auf. Eine verlorene Schlacht
konnte noch nicht über das Schicksal des ganzen Krieges entscheiden.
Als wir aber ausführliche Kunde erhielten von den schrecklichen
Folgen dieser Niederlage, als der letzte Rest der Armee in Lübeck
das Gewehr strecken mußte, als die Festungen Hameln, Magdeburg,
Stettin und Küstrin mit beispielloser Feigheit ohne Schwertstreich
dem Feinde überliefert wurden, und der ganze preußische Staat in
feindliche Gewalt kam: da sank uns aller Mut; wir wußten, daß
wir verloren waren. Unterdes war der traurigen Kunde von der
verlorenen Schlacht die feindliche Besitznahme auf dem Fuße ge¬
folgt. An einem frühen Morgen traf eine Abteilung Kavallerie
von der Armee des Königs von Holland ein. — Gleich darauf traf
der König von Holland an der Spitze feiner Armee ein. Wir
hatten schwere Einquartierung; es waren lOOOO Mann in die
(Stadt gerückt. Doch wurde strenge Mannszucht gehalten; denn
es lag unverkennbar in der Absicht des Königs von Holland, das
Land nicht feindselig, sondern mit möglichster Schonung zu be¬
handeln. Er schmeichelte sich, daß ihm die an das Königreich
Holland grenzenden preußischen Provinzen zu teil werden würden. —
©o war ich denn zum zweitenmal in die Gewalt der französischen
Herrschaft geraten. — Preußens Macht war zertrümmert, der ganze
Staat bis auf einen kleinen Rest in der Gewalt eines Eroberers,